Was Sie schon immer über die Internationale Stadt Berlin wissen wollten...
Die internationalste Aktion der Internationalen Stadt war zu Beginn des Jahres 1996 ein 2monatiges Connectivitylag. In dieser Zeit erzielten wir ein ungeahntes Echo, lokal und global. Sich in Kreuzberg auf der Strasse blicken zu lassen, hatte Folgen: Es gab erboste User, die sich nicht mehr in die bunte Langeweile des World Wide Web klicken konnten. Andere fragten mitleidig, ob wir die Zelte abgebrochen haben. Treue "Botschafter" aus dem Umfeld übermittelten die Volkesstimme: Hähme und Schadenfreude machte sich breit. "Hab ich ja immer gewusst, dass die nicht professionell arbeiten können". In Wien und anderswo wurden schon die Grabesreden gehalten. Weit gefehlt - die Internationale Stadt gibt's noch.
Angefangen hat alles im Sommer 1994. Ein versprengter Haufen von KünstlerInnen
und Computerfreaks fand sich zusammen, um gemeinsam eine digitale Stadt in
Berlin zu bauen. Mittlerweile zu 11 MitarbeiterInnen mutiert, begann alles
mit der Übernahme eines ehemaligen Sponsors. Erfahrungen aus dem
Hackeruntergrund, selbstorganisierten, aber bankrotten
Medienkunstveranstaltungen mit einer gesunden Portion
Pseudo-Wissenschaftlichkeit führten zu einem eigenartigen, aber
einzigartigen Gebräu Internationale Stadt.
Was ist daraus geworden ? Die Internationale Stadt ist, verglichen zu ihrer Startzeit, wirtschaftlich geordnet. Die Kreuzberger Kellerkinder haben es zu einer gut ausgestatteten Fabriketage gebracht. Ohne öffentliche Förderungen. Und ohne den Netzzugang für KünstlerInnen und sozial-politisch engagierte Initiativen über ein kompliziertes Traffic- oder Onlinezeitabrechnungsverfahren zu reglementieren. Natürlich profitierte die Internationale Stadt auch von den KünstlerInnen und NetzaktivistInnen, die die Struktur mit interessanten Inhalten gefüllt haben. Die Aufrechterhaltung und der kontinuierliche Ausbau in wirtschaftlicher Hinsicht jedoch wurde über Dienstleistungen im kommerziellen Bereich, über ein Hardwaresponsoring und nicht zuletzt über "taktische" Providerwechsel gewährleistet.
Im technisch - organisatorischen Sinn
als auch in ihrem sozialen Gefüge ist Internationale Stadt
eine komplizierte Struktur.
Sie unterhält zur Zeit zwei Webserver -
www.is.in-berlin.de in Berlin und www.icf.de in Dortmund -
mit insgesamt 350.000 Zugriffen pro Monat,
ein Halb-Dutzend kommerzieller und nicht-kommerzieller Netze,
bietet zum Einwählen 30 ISDN- und halbsoviele Modem-Ports,
ist Kundin bei drei Providern und einer Telekommunikationsfirma (...),
und hat zwei Standorte in Berlin.
In Berlin ist die Internationale Stadt zu einem Anlaufpunkt für Leute geworden, die innovative Projekte im Netz realisieren wollen - sei es nun durch Programmierarbeiten, durch freien Plattenplatz oder einfach nur durch fast alltägliche know-how Transfers. Sehr viele der in Berlin entwickelten Kunstprojekte im Netz, wurden auf diese Weise realisiert. Parallel musste immer das Überleben mit kommerziellen Webseiten, aufwendigen Programmierprojekten, mit Beraterjobs oder der Realisierung von öffentichen Terminals gesichert werden. Leider blieb dadurch das IS-Interface selbst auf der Strecke. Seit über einem halben Jahr wird an der neuen Oberfläche gebastelt und es ist immer noch nicht fertig, obwohl wir wissen, daß ein Jahr im Netz wie 10 Jahre im realen Leben ist. Die Wiederentdeckung der Langsamkeit kann auch wohltuend sein. Das neue IS-Netz-Interface ist eben nicht der wesenstlichste Bestandteil des Projekts Internationale Stadt. Overdesigned Webspaces, randvoll mit geglätteten Icons, Frames, animierten Logos, überlassen wir gerne den Industriegrafikern. Auch wenn es so scheint: IS war nie eine Baustelle im Netz, sondern schlicht ein Spiegelbild der Fehlbarkeit ihrer MacherInnen und der Standhaftigkeit ihrer EinwohnerInnen.
Jedoch ist die Eroberungsphase und Euphorie eines neuen Mediums vorbei. Es stellt sich nun die Frage der Standortbestimmung, nicht nur für die Internationalen Stadt, sondern für alle unabhängigen und nicht-kommerziellen Netze. Was haben sie erreicht ? Haben sie wirklich die knappe Zeit zwischen Entdeckung und Etablierung der Datennetze genutzt ? Oder sind sie ein kurzfristiges Phänomen auf der Schaumkrone des Netz-Hypes ? Die Zeitabstände zwischen Einführung, Entdeckung und Vermarktung "neuer Technologien" werden immer kürzer, der Innovationsdruck immer grösser... Chancen für kontinuierliche Weiterentwicklungen werden nur dort greifen, wo es weitreichende Kooperationen zwischen nicht-kommerziellen und unabhängigen NetzbetreiberInnen gibt. Dies scheint die einzige Möglichkeit, im ausufernden Internet einen wahrnehmbaren Claim beanspruchen zu können.
Oder haben wir uns im "kurzen Sommer des Internets" einen Sonnenbrand
geholt
? Wir durften predigen und die Trendforscher der Unternehmen haben eifrig
mitgeschrieben.
Die ausschweifende Diskussion über Sinn und und Unsinn der Stadtmetapher,
bei der die Internationale Stadt mehr als nur eine Nebenrolle spielte, wird
nun von den Sekundärverwertern verarbeitet. Letzendlich wurde sie stärker
von den Aussenstehenden als von den BetreiberInnen gepusht - hervorragend
inzeniert, durch Buchveröffentlichungen und aufwendigen Symposien
hochgespielt. Was davon übrig geblieben ist, nämlich eine einfache,
plakative Marketingstrategie von Unternehmen und Stadtpolitikern, wird uns
jetzt beschert. Die Metapher, so wie sie von der Digitalen Stadt und der
Internationalen Stadt interpretiert wurde, beginnt hinter den markigen
Leitsprüchen des Kommerz zu verblassen. Die vebacom wirbt mit
aufwendigen
Farbbroschüren im Technolook: ("Wir bauen uns unsere eigene digitale
Stadt:
Infocity NRW <-* " ) Wohlgestaltete Hochglanzoberflächen als
shopping-malls
- sind das die so oft zitierten gesellschaftsverändernden Kräfte der Netze
?
Gefragt sind jetzt Konzepte und Strategien, wie man sich dem Theater
entziehen kann, ohne die Aktivitäten in den Netzen aufzugeben. Was kann es
im Netz geben, dass für eine Übernahme von Sekundärverwertern ungeeignet
ist? In der Internationalen Stadt ist das über das Netz nur teilweise gelungen. Vielleicht liegt es am zugegebenermassen gewöhnungsbedürftigen Benutzerinterface, wahrscheinlich auch am wenig zielgerichteten Einsatz von "interaktiven Webtools". Der konzeptionelle Ansatz der IS war und ist, ein sich selbst organisierendes System zu entwickeln, eine offene Struktur, die von den EinwohnerInnen, ohne weitere Filterung seitens der BetreiberInnen, mit Inhalten gefüllt werden kann. Es hat sich jedoch gezeigt, daß ohne "Themenvorgaben ", ohne aktive Moderation / Animation die Möglichkeit zum öffentlichen Austausch, zumindest in Berlin, nur eine eher nebensächliche Rolle spielte. Ohne spielerische Ansätze scheint dies nicht zu gelingen. Wo sind die Projekte, die nicht um den Partizipationswillen ihrer Nutzer ringen müssen ? Wo sind die interessanten Webstrukturen, die mehr als nur eine Ansammlung von Einzelprojekten zur Schau stellen ? Auf der einen Seite die vielen Surfer und "lurker", auf der anderen die enthusiastischen MacherInnen. Dazwischen existiert ein Vakuum.
Zur Zeit hat sich die Internationale Stadt von den grossen Theorien verabschiedet.
Auch sind ihre Prediger seltener auf den Brettern der selbstreferentiellen
Symposien und Festivals anzutreffen. Der Innendienst hat Vorrang.
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© 1996, Internationale Stadt e.V. is@icf.de