Just out of Beta - Die Internationale Stadt 2.0

Tilman Baumgärtel    erschienen in Telepolis, 19.12.96

      Die Internationale Stadt (IS) ist keine Stadt mehr. Das Berliner WorldWideWeb-Projekt IS hat nach mehr als einem Jahr dauernden Vorbereitungen ein neues Interface bekommen, das die letzten Überreste der Stadtmetapher über Bord geworfen hat, nach der IS früher organisiert war. Freilich: schon die alte IS war nie so stark "städtisch" gestaltet wie etwa De Digitale Staad (www.dds.nl) aus Amsterdam und hatte auch nie den radikaldemokratischen Anspruch, den sich die digitale Vorzeigestadt aus Holland auf Panier geschrieben hat. Doch das neue Interface der Internationalen Stadt hat nun überhaupt keine Ähnlichkeit mehr mit urbanen Strukturen und einem vektoriellen Verständnis von Stadt, sondern orientiert sich ganz an den Funktionalitäten, die IS seinen Nutzern bietet.

      Schon wer die neue IS "betritt", sieht eine ganz neue Gestalt: Statt des alten Logos, das ein bißchen an Raumschrift Enterprise erinnerte, begrüßt den Internauten nun eine Art Tortengraphik, die die verschiedenen Bereiche gliedert und automatisch dem Umfang der verschiedenen Bereich entsprechend generiert wird. Denn die Internationale Stadt, Version 2.0, ist nun ganz nach Themenbereichen wie Medien, Musik, Kommunales, Umwelt, Markt organisiert. Wahrend das alte Interface sehr viele visuelle Elemente enthielt und entsprechen langsam lud, ist beim neuen Design besonderer Wert auf einfache Gestaltung und schnelle Übertragung gelegt worden. Um die visuelle Gestaltung übersichtlich zu machen, wurden sogar zwei Graphiker engagiert. In der neuen Fassung fehlt allerdings die alte "Text Only"-Version, und da verstärkt mit Java-Script gearbeitet wurde, braucht man Netscape oder einen vergleichbaren Browser, wenn man sich wirklich durch die Internationale Stadt manövrieren will.

      "Ganz fertig ist ein Projekt wie die Internationale Stadt nie", sagt Gereon Schmitz von IS, und tatsächlich wird an vielen Bereichen noch gearbeitet. Neu ist aber schon jetzt, dass für die verschiedenen Bereiche Moderatoren eingesetzt worden sind, die mehr Traffic in der IS unter den 600 Mitgliedern motivieren sollen. Selbst programmiert hat man bei IS ein Art eigenes IRC-Programm, bei dem man nun keine "Reloads" mehr nötig sind, um mit anderen virtuellen Besuchern zu chatten.

      Wie schon in der vorangegangenen Version soll es den Usern leicht gemacht werden, selbst an der Entstehung der Internationalen Stadt mitzumachen. "Wir liefern im Grunde nur die Hülle, der Inhalt soll von den Usern selbst kommen", beschreibt Gereon Schmitz die Philosophie von IS. Zu den Möglichkeiten, sich "seine eigene IS zu konfigurieren", gehört zum Beispiel eine Toolbar, mit der man sich durch das IS-Menü bewegen kann und die sich jeder angemeldete User selbst aufbauen kann. Auch der Upload von HTML-Files auf den IS-Server, zum Beispiel der eigenen Homepage, soll so leicht wie möglich sein. Wer Mitglied der Internationalen Stadt ist, kann außerdem von jedem beliebigen Internet-Terminal auf der ganzen Welt seine Email lesen oder eigenes Material auf dem IS-Server editieren. Themengruppen wie das Digital Art Forum kann ebenfalls jedes IS-Mitglied gründen, um sie als Plattform für Diskussionen oder kollektive Arbeiten zu nutzen. Die Software BORG, die die IS-Mitarbeiter für diese "Arbeitsflächen" geschrieben haben, soll jetzt auch Unternehmen als Intranetlösung angeboten werden.

      Denn bis heute finanziert sich die Internationale Stadt weniger aus den spärlichen Mitgliedsgebühren, sondern vor allem aus Auftragsarbeiten für Unternehmen und die Berliner Stadtverwaltung. Einige Beispiele wie das Umweltinformationssystem, die Ökopinnwand oder Informationen des Statistischen Landesamts sind bei IS auch zu besichtigen. Besonders starke Präsenz haben bei der Berliner Internationalen Stadt Kunstprojekte wie zum Beispiel den Netz-Dada von den netznotorischen W.W.W.ahnsinningen Jodi.org oder das neue Radio Internationale Stadt.

      "Wir wollen nicht das nächste Waschmittel online bringen", sagt Gereon Schmitz, "sondern uns durch andere Informationen unterscheiden." Trotzdem hat es die Internationale Stadt, die offiziell immer noch als eingetragener Verein firmiert, geschafft, sich zu einem schuldenfreien Unternehmen mit 10 Angestellten und einer eigenen Fabriketage in Berlin-Kreuzberg zu mausern, obwohl sie bis heute keinerlei Subventionen etwa durch den Berliner Senat erhalten haben.

      "Zur Zeit hat sich die Internationale Stadt von den großen Theorien verabschiedet", heißt es in einem programmatischen FAQ mit dem Titel "Was Sie schon immer über die Internationale Stadt Berlin wissen wollten". "Auch sind ihre Prediger seltener auf den Brettern der selbstreferentiellen Symposien und Festivals anzutreffen. Der Innendienst hat Vorrang." Nach dem Internet- und Netzstadt-Boom der letzten beiden Jahren, aus dem auch dieses Webzine hervorgegangen ist, scheint es nun erstmals etwas ruhiger an der digitalen Front zu werden. Stillstand bedeutet das allerdings nicht: In den letzten Wochen sind nach der Digitalen Stadt Bremen weitere "Filialen" in Madrid und Köln ans Netz gegangen (http://www.icf.de).



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