8. Mai 1945 - Anlaß zur Freude oder auch ein schwieriges Kapitel...

Vergewaltigungen von Frauen Als im April und Mai 1945 die alliierten Truppen Berlin und die anderen Teile Deutschlands vom Nazifaschismus befreiten, war dieses Ereignis für Tausende zweifellos Anlaß von Freude und Erleichterung und die Gewißheit, überlebt zu haben. Wir wollen uns im folgenden mit einem anderen, äußerst schwierigen Kapitel der ersten Monate der Befreiung beschäftigen: den Vergewaltigungen von Frauen in den damaligen sog. Ostgebieten und Deutschland seitens der Alliierten. Vor allem auf einen Aspekt wird in diesen Tagen, in denen die öffentlichen Vorbereitungen zur Entsorgung deutscher Geschichte auf Hochtouren laufen, ganz ausdrücklich hingewiesen: Die Vergewaltigungen der Roten Armee in der Endphase des Krieges. Von Einmaligkeit wird da gesprochen, die Verbrechen der deutschen Besatzer in der UDSSR verschwiegen oder relativiert, die Vergewaltigungen seitens der Amerikaner und der anderen Alliierten erst gar nicht erwähnt. Was stimmt ist: - Soldaten der Roten Armee vergewaltigten vor allem 1945 einzeln und in Gruppen massenhaft Frauen und Mädchen in den ehemaligen sog. Ostgebieten und in Berlin. Vor allem in den ersten drei Monaten des Jahres waren Frauen gezwungen, sich zu verstecken und sich aus Angst vor Erschießungen vergewaltigen zu lassen. So berichtete eine Jüdin, die sich als Kind mit ihrer Mutter über zwei Jahre in einem Keller vor den Nazis versteckt hatte, sie höre noch heute das Geräusch des ersten einfahrenden Sowjetpanzers und wisse um ihre Freude, daß jetzt das Leben wieder beginne; und dann sei sie selbst von den Soldaten bedroht worden, „die Freude über den Einmarsch ... das Glück war wie weggeschnitten...meine Mutter und ich fingen wieder an zu fliehen“. - Vergewaltigungen fanden auch von US-amerikanischen Soldaten während des Zweiten Weltkrieges statt; vor US-Militärgerichten gab es von Januar ‘42 bis Juni ‘47 mehr als 1000 Verurteilungen, die meisten davon in der Zeit zwischen Juli ‘45 und Juni ‘46. Wieviel Vergewaltigungen vor Gericht zu leichten Straftaten herunterdefiniert wurden und damit nicht Teil offizieller Angaben sind, blieb ungenannt (Brownmiller 1987). Den US-Soldaten standen in der Nachhut organisierte Bars und Bordells zur Verfügung. Dollars und Lebensmittel lockten und zwangen Frauen dazu, sich zu prostituieren; außer der wirtschaftlichen Notwendigkeit trug aber auch die eher positive Haltung zu den US-Soldaten als erobernde Helden und Befreier einen Teil dazu bei. Demgegenüber war das Verhältnis zu den sowjetischen Befreiern durch jahrelange Kommunistenhetze und ihre rassistische Erniedrigung durch die NS-Ideologie als Menschen niederer Kategorie geprägt. So bemerkten z.B. deutsche Frauen in einem Interview der Wochenschau: „Schützt unsere Frauen und Kinder vor den roten Bestien“ und „man kann ja gar nicht mehr von Soldaten und Offizieren reden, sondern nur von bestialischen Horden" (Sander 1991/92). -1946 wurden bei den Nürnberger Prozessen Dokumente vorgelegt, die bewiesen, „daß von den deutschen Eroberern systematisch vergewaltigt wurde, um Terror zu verbreiten: polnische, jüdische und russische Frauen wurden vergewaltigt und in vielen Fällen grausam ermordet. Hunderte von Frauen und Mädchen wurden erbarmungslos verfolgt, in Wehrmachtsbordelle getrieben und dort zur Zwangsprostitution mißbraucht, zum sog. >Vergnügungsdienst<, oft Vorstufe zum administrativen Massenmord. Geschändete jüdische Frauen wurden tätowiert, bzw. erhielten den Stempel >Feld-Hure< - >Hure für Hitlers Truppen<. Diese Form der Vergewaltigung, des Zwangsverkehrs, wurde institutionalisiert und technisch-bürokratisch verwaltet" (Schmidt-Harzbach 1992). Diese lückenhafte Aufzählung frauenverachtender Taten macht schon deutlich, daß es sich dabei nicht um einmalige Geschehen handelt. Statistisch betrachtet wird in der BRD alle 5 Minuten eine Frau vergewaltigt. Frauen leben alltäglich mit dem hier herrschenden Gewaltzustand, ihrer Unterdrückung und Entrechtung. Insofern sind Vergewaltigungen im Krieg das exzessive Ausleben patriarchaler Norm, die auch in Friedenszeiten existiert. Die „siegreichen Truppen“ vergewaltigen nach Einnahme der Stadt die Frauen und Mädchen jeden Alters. Es ist die Geste des Gewinners, indem er sich nimmt, was seinen „Besitzer“ am meisten erniedrigt. Es ist Ausdruck der absoluten Verfügungsgewalt des Siegers; die Frau ist das Schlachtfeld, auf dem diese innermännliche Angelegenheit ausgefochten wird. Krieg stellt sich dar als „ein fürchterliches Potenzgeprotze der Männer. Piloten bemalen ihre Flugzeuge mit nackten Frauen, geben ihnen Frauennamen. Sie schreiben auf Bomben `fuck you´, bevor sie sie über Wohngebieten abwerfen, drohen mit ihrem ganzen Repertoire an sexueller Gewalt“ (Wuppertaler Männerpapier 1992). Es ist Fakt, daß Rotarmisten einzeln und / oder in Gruppen massenhaft Frauen und Mädchen in den ehemaligen sog. Ostgebieten und in Berlin vergewaltigt haben. „Eine Vergewaltigung ist -als solche - eine Vergewaltigung, egal, ob sie von einem Russen, einem Amerikaner, einem Franzosen oder einem Deutschen begangen wird. Aber auch Vergewaltigungen spielen sich in einem bestimmten Kontext ab, und dieser muß dann thematisiert werden, wenn eine bestimmte Gruppe von Vergewaltigern und Vergewaltigungen hervorgehoben werden soll“ (Strobl 1992). Die Geschichte des Grauens beginnt nicht erst mit den Vergewaltigungen zum Kriegsende. Die systematische Vernichtung von Millionen von Jüdinnen und Juden, der Überfall auf Polen und der Beginn rassistischer Siedlungspolitik, der Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug gegen andere Länder Europas und in seinem brutalsten Ausmaß gegen die UdSSR ist der Gesamtzusammenhang, in dem die Vergewaltigungen seitens der Alliierten und insbesondere der Roten Armee zu sehen sind. Jedoch - eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung und läßt sich durch nichts legitimieren und relativieren. Jede vergewaltigte Frau ist ein Opfer, eine Vergewaltigung ist ein Trauma, ein Einschnitt fürs ganze Leben. Allein die Tatsache, eine Frau zu sein, lieferte im April / Mai 45 z.B. in Berlin 1,4 Millionen Frauen und Mädchen gegenüber den einziehenden Soldaten reiner Willkür aus; egal ob es sich um eine bis dahin untergetauchte und versteckte Jüdin handelte oder um eine Frau, die in der NSDAP war. Angesichts dessen, daß bis heute in ungebrochener Kontinuität und weltweit Frauen massiver Gewalt ausgesetzt sind, sie in der sog. Dritten Welt zu den größten Verlierern neokolonialer Ausbeutungspolitik gehören, fordern wir: Anerkennung frauenspezifischer Fluchtgründe! Eigenständiges Aufenthaltsrecht für Frauen! Literatur: Susan Brownmiller: Gegen unseren Willen Vergewaltigung und Männerherrschaft. Verlag s. Fischer, Frankfurt am Main 1978 Ingrid Strobl: Wann begann das Grauen? Konkret 9/1992 Befreier und Befreite. Krieg - Vergewaltigungen - Kinder. Regie: Helke Sander, Deutschland 1991/92.