Deutsche Täter sind keine Opfer !

Am 14. November letzten Jahres wurde die Neue Wache Unter den Linden von den obersten Vertretern des Staates als Zentrale Gedenkstätte eingeweiht. Dort soll von nun an "Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft" gedacht werden: So lautet zumindest die Inschrift auf der Figur von Käthe Kollwitz im Inneren des Gebäudes. "'Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft' ? - Welches Krieges - und wer hat ihn begonnen ? Welcher Gewaltherrschaft - und wer hat sie ausgeübt ? Über wen - und mit welchem Resultat ? Und wer soll da unterschiedslos nebeneinander gebettet werden ? Mein jüdischer Schulfreund, der mit seiner Familie in einem baltischen Ghetto erschossen wurde, neben dem uniformierten Mörder, der irgendwann an der Ostfront auf eine Mine lief ? Oder das NS-Enthauptungsgenie in Volksgerichtshofrobe, Roland Freisler, der ja dank einer britischen Fliegerbombe im Februar 1945 auch noch 'Opfer des Krieges' wurde, nun neben den an Klaviersaiten gehängten Widerständlern und Nazigegnern ?" (So der Schriftsteller Ralph Giordano am 19.11. 93 im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt) Hinter der Dreistigkeit dieses von Kohl gegen jeden Widerstand durchgezogenen Projektes, das auch durch die im Nachhinein angebrachten zusätzlichen Erläuterungstafeln nur unwesentlich in seiner Unverschämtheit gegenüber den wirklichen Opfern deutscher Geschichte gemildert wird, steckt eine Strategie. Nämlich der Versuch, den deutschen Nationalsozialismus einzuordnen als eine Periode neben vielen anderen in der deutschen Geschichte. Was im Historikerstreit Ende der Achtziger Jahre von Intellektuellen versucht wurde auszuhandeln, nämlich die Einzigartigkeit des industriell durchgeführten Massenmords, leugnen Faschisten schon lange und wird in konservativen Kreisen zunehmend in Frage gestellt. Nur innerhalb eines solchen geistigen Klimas ist es möglich, Tätern und Opfern gleichzeitig zu gedenken. Darüber hinaus haben nun in den Debatten am Stammtisch und im Parlament Vergleiche von linker und rechter Gewalt, von "Unrechtsregimen" in der DDR und im Hitlerfaschismus Hochkonjunktur. Ginge man bei der Inschrift der Tafel an der Neuen Wache nämlich mehr ins Detail, so Historiker Helmut Kohl am 14. Mai 1993 im Bundestag, "geriete man in die Irrgärten der modernen deutschen Geschichte." Und daß zu diesen eben Auschwitz an erster Stelle gehört, paßt einigen der Herrschenden Anfang der Neunziger Jahre offenbar nicht in den Kram. So wie es ihnen ebenfalls nicht paßte, daß sich viele Menschen dem Projekt in den Weg stellten. Bei der symbolischen Besetzung der Neuen Wache am 9.11., dem Jahrestag der Reichspogromnacht also, wurden die BesetzerInnen jedenfalls nach wenigen Minuten brutal von den Treppenstufen geräumt. Und am Tag der Einweihung wurde mit Methoden, die einige an die Stasi und andere eher an die 'bayrische Art' denken ließen, versucht, kleinsten Widerstand aus Transparenten, Sprechchören oder Trillerpfeifen rücksichtslos zu unterdrücken. Ob die Bullen wohl, wenn die Faschisten im November dieses Jahres versuchen werden, die Neue Wache für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, ähnlich massiv präsent sein und rücksichtslos zuschlagen werden, wie sie es im letzten Jahr taten ?