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On Lull's Ars Magna

excerpt of: Peter Bexte / Werner Künzel, Die Ars des Raimundus Lullus. Eine mediterrane Kommunikationslogik, Berlin 1989

Abstract

Although neglected in modern science, Ramon Llull's "Ars Magna" presents a functional prototype of an expert system, the "first occidental text machine for the production of logically consistent statements." Lull's invention is unique in its claim to cover and generate the entirety of human knowledge by the means of recombining a limited, given set of signifiers. This claim is practically achieved by representing knowledge categories with letters and systematizing them into a logical grammar. Consistency of the combinations generated is granted by careful selection of the elements. Lull's machine is not intended to function as a mechanical oracle, but to produce statements which call for reflection and interpretation.

Text

Aus der Entfernung von sieben Jahrhunderten über das Konzept der lullischen Ars zu schreiben, heißt mehr als nur die Würdigung eines nahezu vergessenen Philosophen zu betreiben: Die Ars generalis ultima ist als letzte und höchste Kunst zum Begreifen der Offenbarungswahrheit ein Instrument, das über die Fachkreise mittelalterlicher Theologen hinweg kaum noch den Experten der Logiktheorie bekannt sein dürfte. Wenn heute im Bereich der Computerwissenschaften die Mächtigkeit der künstlichen Intelligenz diskutiert wird, ist der Stammvater aller logischen Expertensysteme längst im Dunkel des Mittelalters versunken. Dabei hat die Revolution des formalisierten Denkens mit seiner Ars begonnen: Auf dem Höhepunkt der scholastischen Diskussion um die Theorien des Aristoteles, welche in der arabischen Vermittlung über den mediterranen Raum das gesamte Europa zu erfassen begannen, im Zuge dieser so schnellen wie heftigen Aneignung des großen Logikers also beginnt Raymundus Lullus sein Werk einer völlig neuartigen Organisation logischen Denkens: Er entwickelt die erste abendländische Textmaschine zur Produktion wahrheitsfähiger Aussagen!

Müßig darüber zu spekulieren, ob seine Ars in allen Teilen originär genannt werden darf, einzelne Kombinationsfiguren mögen in arabischen Ansätzen zur Naturwissenschaft oder gar im Umkreis alchimistischen Denkens entwickelt worden sein. Völlig neuartig aber ist die Zusammensetzung und Wirkungsweise seiner Kombinationskunst: Mit der Hilfe von verknüpften geometrischen Figuren, die in einem präzise definierten Regelwerk miteinander kommunizieren, sollen alle nur möglichen gültigen Aussagen erzeugt und in Zeichenketten repräsentiert werden. Das Große an der lullischen Logik ist dieser Kern seines Ansatzes, wenn sich die Gesamtheit darstellbaren Wissens durch eine endliche Menge von Kombinationen weniger Zeichen produzieren läßt, dann muß es damit gelingen, auch die uns faßbare Offenbarungswahrheit der christlichen Lehre in jeder geforderten Transparenz zu demonstrieren. Für die Missionierung aller Andersgläubigen würde diese logische Kombinatorik Beweise liefern, welche nicht länger an den Gültigkeitsbereich der natürlichen Sprache des Argumentierenden gebunden wären. Und somit könnte ein gewaltiges Hindernis auf dem Wege der Christianisierung der Welt zur Seite geräumt werden.

Aus dieser Einsicht zieht Lullus als erster Denker radikale Konsequenzen und wenn wir nun einen Blick auf den Bauplan und die Struktur seiner Ars Generalis Ultima werfen, wollen wir diesen tragenden Gedanken als Leitmotiv verfolgen: Wie aus den beigefügten Abbildungen ersichtlich ist, bildet eine dreifach gegliederte Kreisfigur das zentrale Stück seiner Logik. Auf ihren ineinander geschachtelten drehbaren Kreisen nämlich sind alle zur Verfügung stehenden Zeichen einzeln in Kammern angeordnet, so daß ein Drehen der Kreise gegeneinander in beliebiger Leserichtung auf den Mittelpunkt immer neue Zeichenfolgen generiert. Was dergestalt in Kombinationen auftauchen kann, ist der gesamte Zeichenvorrat des von Lullus auf neun Buchstaben reduzierten lateinischen Alphabets. Die Reduktion aber bringt keine Verluste an logischen Aussagemöglichkeiten, denn jeder der neun Buchstaben repräsentiert auf je verschiedenen Bedeutungsebenen einen fest umrissenen Bedeutungsgehalt. In diesem fundamentalen Alphabet verbirgt sich also eine tabellarische Klassifikation der Totalität unseres Wissens, wenn das lullische Tableau der Bedeutungsebenen seinen Anspruch auf Vollkommenheit zu Recht erheben kann.Will sagen, mit der Vollzähligkeit der gesetzten Bedeutungsebenen steht und fällt letztlich der Wahrheitsanspruch dieses logischen Systems! Denn kombiniert werden können evidenterweise nur Bedeutungsgehalte, die vorher als Material bestimmt und ausgewiesen wurden.

Lullus findet für dieses Kardinalproblem seiner Ars von Anfang an eine überzeugende, weil einfach geniale Lösung: Er entwirft eine logische Grammatik, welche durch ihre Funktion allein die Totalität der Kombination zu garantieren vermag. Gleich welche Datentabellen mittels der Kreisfiguren auch verknüpft werden, die generierten Zeichenketten bilden immer wahrheitsfähige Aussagen, solange Atome menschlichen Wissens in Relation gesetzt werden. Allein, nicht jede erzeugte Zeichenkette markiert eine wahre Aussage, gerade weil beliebige Bedeutungstabellen verkoppelt werden können und die regelgerechte Kombinatorik gegen die Vielfalt ihres Materials gleichgültig sein muß, um alles generieren zu können, gerade deshalb fordert diese produktive Logik eine Instanz zur Wahrheitsprüfung, wie sie mächtiger kaum gedacht werden kann! Doch die damit geforderte menschliche Vernunft hat nun einen ungeheuren Vorteil erhalten die nötige Entscheidung über den Wahrheitsgehalt der generierten Aussage ist immer schon ein kommunikativer Akt sui generis. Denn wir erinnern uns, diese von Lullus strategisch entwickelte logische Maschine soll Wahrheit im Vollzug demonstrieren, soll Ungläubige überzeugen, Mißtrauen durch Transparenz besiegen... In dem Maße also, wie es dem Entwickler der Ars gelingt, alle ihre Bausteine in transparenter Funktionsweise zu verbinden, genau in dem Maße darf er damit rechnen, ein konkurrierendes Subjekt für die vorurteilsfreie Arbeit mit der Maschine zu gewinnen. Die rückhaltlos intendierte Kommunikation im erkenntnistheoretischen Gegeneinander soll durch ein radikales Offenlegen aller Vorgaben in ein vertrauenstiftendes Miteinander übergehen. Und Lullus nimmt diese implizierte Forderung seines Ansatzes ernst: Jeder einzelne Baustein seiner logischen Apparatur erfährt eine detaillierte Thematisierung, die Vollständigkeit systematischer Reflexion auf Struktur und Wirkungsweise der Ars korreliert ihrem Anspruch auf letzte und höchste Vollendung des Gehaltes. So definiert Lullus am Anfang der Ars das logische Fundament mit der Explikation seines Alphabets: er entfaltet jede Bedeutungstabelle anhand der neun verbliebenen Buchstaben. Die erste Tabelle listet alle göttlichen Attribute auf, Prädikate und Subjekte umfassender Beschreibung des christlichen Gottes, wenn wir Lullus folgen wollen. Mittels der nächsten Bedeutungstabelle versucht Lullus nun die kategorische Verfaßtheit des Seins im Allgemeinen und im Besonderen abzubilden: Er versteht die unter dem Titel der Relationen angeführten kategorialen Bestimmungen als die eigentlichen Binder des logischen Gefüges seine Logik ist in der Gestalt einer Ars Combinatoria grundsätzlich eine Relationenlogik. Es geht ihm darin immer um die systematische Reflexion aller Beziehungen zwischen den Polen erkenntnisbildender Prozesse: das erkenntniskritische Subjekt hat demnach die Aufgabe, diese Beziehungen auf ihre konstitutive Leistung im Akt der logischen Bestimmungen eines Gegenstandsbereiches zu prüfen. Sind diese neun Relationen vollständig und Lullus wird nicht müde, darauf zu insistieren, dann ist mit ihnen das Kernstück der klassischen Logiktheorie aristotelischer Prägung eingeholt. Weil sich jede Relation noch in drei Untertitel auffächern läßt, ergibt sich für die Auslegung eines gewählten Subjektes ein entsprechend feines Aussagengewebe.

Diese stufenweise voranschreitende Differenzierung im Erkenntnisvolluzg erweitert Lullus in der neuen Tabelle aller Frageformen; sie können dazu dienen, den Prozeß der Aussagenbildung von verschiedenen Positionen aus zu starten. Das göttliche Attribut der Güte z.B. ließe sich mit dem bisher dargestellten Teil der logischen Apparatur unter zahlreichen Gesichtspunkten erörtern, berücksichtigt man alle Relationen mit ihren dreifach unterteilten Formen und sämtliche Fragen. Neben den göttlichen Attributen setzt Lullus eine Tabelle von Subjekten an, deren Geltungsbereich alle Bezirke klassischer Theologie und Metaphysik abzudecken hat: Von Gott als dem ausgezeichneten obersten Subjekt über den Menschen bis zur anorganischen Materie sind die Begriffe gespannt. Die Leiter der Erkenntnis reicht vom Himmel bis zur Erde, weil das höchste und das erklärte niedrigste Subjekt, Gott und die Materie gleichberechtigt beschreibbar sein müssen nach denselben kombinatorischen Regeln. In einer stetig wachsenden Erkenntnis durch Produktion und Prüfung neuer Kombinationen sorgt Lullus selbst für deren Konsistenz und Transparenz: Er gibt den göttlichen Attributen, den kategorialen Bestimmungen und den Subjektbegriffen jeweils präzise formulierte Definitionen, welche ihre Anwendung als Prinzip reflektierender Vermittlung im Vorgang der prozessualen Erkenntnisbildung sichern hilft. Derart sucht Lullus das wissenschaftliche Denken zu zwingen, immer mit den selben Bausteinen in konsequenter Verknüpfung zu arbeiten und dabei auf die Identität ihrer Inhalte zu achten, um die Stringenz des Erkenntniszuwachses im urteilenden Schlußmechanismus des Denkens selbst zu garantieren.

Gleichwohl darf das beständige Wiederholen von nuancierten Kombinationen kein regelloses Erzeugen von Aussagen sein, diese Ars ist entschieden kein Werkzeug blinder Zufälle, in allen Formen einer mechanisch facettierten Kombinatorik muß eine spezifische Ordnung der Produktion gewährleistet bleiben! Ein Maximum an Subtilität und Differenzierung fordert die vollkommene Selbstdisziplin des kombinierenden Denkens, soll es gelingen, die sichere Erkenntnis der Totalität im menschlichen Wissen zu erlangen, eine zweite Schöpfung der Welt aus dem Denken allein zu begründen und in der offenen Kommunikation zu behaupten. Offenbar fungiert die Ars also keineswegs als Instrument zur mechanischen Beantwortung aller nur denkbaren Fragen, wie viele Gegner des lullischen Systems polemisiert haben, um den gewaltigen Anspruch dieser innovativen Logik dann leichter dementieren zu können. Diese logische Maschine ist vielmehr ein Werkzeug zur Produktion von interpretationsbedürftigen Aussagen, ein Instrument zur Entfaltung komplizierter Fragestellungen, zum kritischen Prüfen und Bestimmen möglicher Wahrheitsgehalte durch kommunikative Entscheidung allein. Im Entwerfen und Erobern neuer Räume für das christlich orientierte Denken, liegt das erklärte und ersehnte Ziel der Ars: eine scharfe Waffe des erkennden und um Erkenntnis streitenden Verstandes, wie sich jede genuin scholastisch angelegte Philosophie verstanden hat.

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Werner Künzel & Peter Bexte
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