Georg Philipp Harsdörffer, Philosophische und Mathematische Erquickstunden, Nürnberg 1651 (reprinted Frankfurt/Main 1990), p. 516-519

Die fünfte Aufgabe

Die ganze deutsche Sprache auf einem Blättlein weisen

Wie alle Sachen im Anfang, Mittel und Ende bestehen, also wollen wir auch die Buchstaben der einsilbigen Wörter abteilen in Diesen werden vorgesetzt und nachgesetzt Hierbei werden wir, als an einem Denkring, alle einsilbigen Stammwörter wie auch alle Reimendungen leichtlich bemerken können.

Will ich nun alle Stammwörter ordentlich finden, so fange ich bei dem "A" des zweiten Ringes an, und drehe dazu das kleine "a" des dritten Ringes; dann suche ich den vierten Ring

"Aab", "Aabb", "Aabd", etc.
- blinde oder deutunglose Wörter,
bis auf das "ch", "Aach" [Aachen], Aquisgranum, eine benamte Stadt in den Niederlanden, "Aal", eines Fisches und eines Schusters Werkzeug Namen, "Aas" (cadaver) etc.

"ab" ist eine Vorsilbe wie auch eine Endsilbe, suche also auf dem dritten Ringe, und finde

"ab", "abb", "abd", "abs", "abst"
- blinde Silben -,
"Abht" (abbas), "Ach", "Achs" (axis), "Aff", "All", "Alt", "Amm", "Ambd" (officium quasi "Ambacht" vide specimen philologiae germanicae)
"an", "ant",
- Vorsilben -,
"ant", "anten", "arg", "Arm" (brachium & pauper), "art" (species), "Artzt", "Art", etc.
Dieses sind nun die ersten einsilbigen Stammwörter, welche zweisilbig werden, durch die Nachsilben auf dem fünften Ring verzeichnet; den drehe ich nun zu "ab" und finde
"abhar", "abet"
- blinde Wörter -,
"aber" (autem),
"abem"
- blind -;
"abent" (occidens), "abes", "abhafft", "abig" etc.
Gleichsfalls verfährt man mit dem Wörtlein "Abt" oder "Abbt", und findet
"Abbtbar", "Abbthaft", "Abbtei", "Abbtling" (der seine Abtei mißbraucht, wie "Neurling", "Klösterling", "Klügling"), "Abbtlein", "Abbtschafft", "abbtin" oder "Abbtesin", "Abbthum" etc.
Denn obwohl dieses Wort der Abkunft nach ein fremdes Wort, so ist es doch dem Gebrauch nach deutsch, daß es
  1. jedermann versteht,
  2. nicht wohl deutlicher anders kann gegeben werden,
  3. mit deutschen Buchstaben geschrieben, und also den deutschen Endungen zugetan wird, wie viele andere, so [sie] besagte Eigenschaften haben.

Also verfährt man mit allen nachgehenden, unter welchen das erste Zeitwort ist: "alt", "alten". Dazu drehe den ersten und innersten Ring, findend:

"ab-", "an-", "ant-", "ausalten", "auf-", "bealtet", "da-", "dar-", "durchaltet", "einent-", "eraltet", "fortalten", "gealtet", "gegen-", "her-", "hin-", "in-", "los-", "mitalten", "mißalten" (wenn eine wollüstige Jugend ein unlustiges oder abscheuliches Alter bringt), "nachalten", "nebenalten", "nider-", "nechst-", "ob-", "oben-", "ohn-", "samt-", "sonder-", "überalten", "veralten", "unter-", "umb-", "ungealtet", "voll-", "von-", "vorgealtet-" etc.
Ist also dieses eine unfehlbare Richtigkeit, ein vollständiges deutsches Wörterbuch zu verfassen, und beharren wir in der Meinung, daß alle solche zusammengesetzten Wörter, welche ihre Deutung würken für gut deutsch zulässig, sonderlich in den Gedichten - obgleich sie sonst nicht gebräuchlich - wie hiervon zu lesen der um unsere Sprache wohlverdiente Herr Schottelius in seiner Einleitung und in seinen Lobreden der Sprachkünste vorgefügt.

Zum anderen hat dieser Denkring seinen Gebrauch in Erfindung der Reimwörter, wenn man die Reimsilben auf dem dritten und vierten Ring suchet, und die Reimbuchstaben auf dem zweiten Ring dazudreht. Zum Exempel sei die erste Reimsilbe "ab", auf dem dritten und vierten Ring, dazu drehe ich

"Aaab", "Baß", "Blab", "Braß", etc. - blinde Wörter,
finde aber nachgehends
"Gab", "Grab", "Hab", "Knab", "Lab" (von "laben"), "Mab", "Rab", "Schab", "Schwab", "Stab", "Trab" etc.

Ist aber die Reimung zweisilbig, so muß solches durch die Nachsilben auf dem fünften Ring geschehen, und solche wird gleichfalls durch den vorhergehenden Reimbuchstaben geschlossen, als hier:

"Gaben", "Graben", "Haben", "die Knaben", "laben", "Maße", "Raben", "Schaben", "Schwaben", "Stäbe", "Traben".
Dieses betrifft die reine Reimung. In der unreinen Reimung, als
"a", "ä", "ö",
"lehren", "wären", "hören",
"ei", "eu",
"Zeit", "Freud" etc.,
welche auch zulässig, muß man solche doppelten Buchstaben absonderlich untersuchen, und wird sich verhoffentlich kein Wort in unserer ganzen Sprache finden, welches nicht auf diesem Ring zu weisen sein sollte.