Netzmetapher "Ungeachtet der enormen Unterschiede zwischen Städten kann man generalisierend feststellen, daß Stadt eine Art Sammelpunkt ist. Der Begriff des städtischen Zentrums beinhaltet die Gleichzeitigkeit des Unterschiedenen. "(1)



Dezentrale Datennetze wie das Internet sind in ihrer Komplexität vergleichbar mit urbanen Systemen. Die Vielfalt der Information und der sozialen Beziehungen ist unüberschaubar geworden. Wenn wir den urbanen Raum als Netz, als eine Überlagerung von Systemen begreifen, wieso sollte nicht das Experiment gewagt werden, die Metapher zu invertieren und elektronische Netze als Städte zu begreifen ?


Community Nets und virtuelle Gemeinschaften - bis vor wenigen Jahren ein Kulturtransfer aus den USA, inspirieren auch im europäischen Raum einige Initiativen virtuelle Öffentlichkeiten zu entwickeln.(2) Das Internet als Konglomerat von unterschiedlichen Nutzungsinteressen hatte seine Ursprünge im Wissenschafts- und Forschungsbreich. Die Öffnung in den industrialisierten Ländern zu einem globalen Massenkommunikationsmittel lockt insbesonders Unternehmen ans Netz. Zwischen diesen Blöcken bewegen sich immer mehr unabhängige Gruppen, die eigene Internetknotenpunkte aufbauen. Angesichts des starken Zustroms an neuen Nutzern sind Datennetze wie das Internet auf dem besten Weg, neben den klassischen Massenmedien eine neue Form von Öffentlichkeit zu etablieren.

Systeme mit vielversprechenden Etablierungschancen sind Projekte, die sich von der Stadtmetapher inspirieren lassen. Mit unterschiedlichen Namensgebungen wie "Digitale Stadt", "Internationale Stadt" oder "Virtual City" werden Versuche unternommen, im Internet Strukturen zu implementieren, die durch Verwendung ihrer Muttersprache und einer geographischen Ausgangsbasis, einen Bezug zwischen Internet und einer realen Stadt herstellen.

Eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung und politischen Durchsetzung von solchen Systemen hat "De Digitale Stad " in Amsterdam. Mit ihrem systemischen Ansatz auf Basis des World Wide Webs hat zu Beginn des Jahres die "Internationale Stadt Berlin" Maßstäbe gesetzt. Da seit etwa einem halben Jahr auch in anderen Ländern und Städten solche Projekte entstehen, werde ich im folgenden die oben aufgeführten Stadtbezeichnungen unter dem Begriff Internet City; zusammenfassen.

Die Verwendung der Stadtmetapher im Kontext einer elektronischen Umgebung führt immer wieder zu Diskussionen. Viele Menschen verbinden mit einer Internet City häufig eine dreidimensionale Cyberspace-Umgebung, die ein Abbild der realen Stadt darstellt. Die Überraschung ist groß, wenn sie sich in eine Internet City hineinbewegen und relativ puristisch gestaltete Oberflächen vorfinden, die auf den ersten Blick scheinbar nichts mit der realen Stadt zu tun zu haben. Meist ist dies aus gutem Grund beabsichtigt, denn "die elektronische Architektur muß davon ausgehen, daß in ihr die perzeptuelle Situatuion des Betrachtens eine andere ist, als in den Orten des realen Raums."(3) Internet Cities sind symbolische Städte im elektronischen Raum, die eine Kommunikations- und Informationsumgebung bereitstellen, also einen Kontext bilden, in dem Fremde und Freunde zusammentreffen, ähnlich wie dies in realen Städte auch geschieht. Verbindend ist dabei meist die gemeinsame Lebensumgebung der Teilnehmenden, wie es sich in den Bezeichnungen der Projekttitel ausprägt. So glaubt auch Geert Lovink, einer der Mitbegründer der ersten Internet City "De Digitale Stad, Amsterdam", daß ein Teil des Erfolgs dieses Projekts auf ihren Namen zurückzuführen ist. "Die Stadtmetapher fördert nicht nur die Wiedererkennbarkeit, es ist vor allem eine produktive Formel, welche sowohl die Phantasie der Macher als auch der Nutzer reizt."(4) Kritische Stimmen jedoch behaupten, daß die Übertragung von alten Methaphern den neuen Aspekten der Netze nicht gerecht werden können. Denn gerade die Netze werden mit großer Wahrscheinlichkeit, wie es die Autos und das Telefon getan haben, das Bild der realen Stadt maßgeblich prägen. Weshalb dann mit einem eher nostalgisch oder utopisch anmutenden Stadtvorbild im Netz operieren ?

Die Entwicklungsgeschichte unserer Städte zeigt, daß sie, ähnlich der Datennetze, permanenten Wandlungsprozessen unterlegen sind. Daher ist auch unser Verständnis von Begriff "Stadt" nicht eindeutig eingrenzbar. Menschen unterschiedlicher Herkunft haben unterschiedliche Sichten auf die Stadt. Unbestritten jedoch scheint zu sein, das die Stadt ein Medium ist. Jürgen Friedrichs beschreibt sie treffend als ein unspezifisches Kommunikationsmittel, als ein gesellschaftliches Gesamtmedium, daß sich von allen übrigen Medien durch seine schier universelle Nutzbarkeit unterscheidet. Der kommunikationswissenschaftlichen Terminologie folgend bezeichnet er sie als "Kanal von Kanälen", weil sie von Anfang an gesellschaftliches Gesamtmedium auch in einem geistig-seelischen und sozialen Sinne war.(5)

Anfänglich gaben Soziologen zur Begriffsbildung der Stadt eine ökonomische Definition, wobei für die historische Urbanform das wichtigste Kennzeichen der Markt darstellte. Der Markt wurde als die Quelle gesellschaftlicher Dynamik betrachtet und gleichzeitig als früheste Form der Öffentlichkeit. Justus Dahinden geht in seiner Beschreibung von Stadt einen Schritt weiter und verweist auf Polarisierungstendenzen von Öffentlichkeit und Privatssphäre. Eine private und eine öffentliche Sphäre, stehen in engem Wechselverhältnis ohne daß die Polarität verloren geht. Die Lebensbereiche, die weder als öffentlich noch als privat charakterisiert werden können, verlieren hingegen an Bedeutung. "Je stärker die Polarität und Wechselbeziehung zwischen öffentlicher und privater Sphäre sich ausprägen, desto städtischer ist, soziologisch gesehen, das Leben einer Ansiedlung."(6)

Diese Aussagen können auf Datennetze übertragen werden - Internet Cities unterscheiden im elektronischen Raum zwischen privaten und öffentlichen Bereichen. Welche Folgen sich daraus ergeben, wie sich solche Räume besiedelt werden, ist bei den Internet Cities ebenso wie bei Städten schwer vorhersehbar.

Ein wesentlicher Unterschied läßt sich jedoch festmachen: Internet Cities denen sich nicht räumlich aus. So wie fehlende Flächen den natürlichen Ausdehnungsgrad unserer Städte begrenzen, liegen die Grenzen der Internet Cities in den immer knapper werdenden Netzwerkressourcen.

Die Folge von städtischem Wachstum ist das geographische Zusammenwachsen der Städte selbst. Ehemals identitätsstiftende Tore und Stadtmauern haben nur noch historische Bedeutung. Die Metastadt, also die Stadt, die aus Städten besteht und immer wieder über sich hinaus wächst, ist vielerorts zur Realität geworden. Dadurch ist sie ein komplexes Beispiel für die allgemeine Globalisierung unserer Welt geworden.

Spätestens seit der industriellen Revolution besteht die Stadt aus einem Konglomerat von unterschiedlichen Netzen. Künstliche Netze wie Wege, Straßen, aber auch das Strom-, Kabel- und Telefonnetz führten gleichzeitig zu einer Vernetzung zwischen den Städten und innerhalb der Städte.

Der Städtebau ist durch seine Verflechtung zwischen innen und außen nahezu undurchschaubar. Das "Henne-Ei-Problem" zeigt sich hier von seiner komplexesten Seite. Wechselwirkungen zwischen Stadt-, Technik- und Medienentwicklung ließen den urbanen Raum entstehen.

Infrastrukturnetze sind konstitutiv für unsere Städte. Sie halten die Städte am Leben und zerstören gleichzeitig romantische Vorstellungen eines vergangenen Stadtbildes.

Interessanterweise entstand unsere Zeitschriftenkultur beispielsweise erst durch den Bau von Bahnhöfen, um die als Leerzeit empfundene Wartezeit zu überbrücken.(7) Informationsterminals wurden erstmals an Flughäfen eingesetzt. Auf die Fotografie folgte der Film; auf den Computer das Computernetz usw. Mit jedem Systemwechsel, ob die Erfindung der Eisenbahn, des Flugzeugs oder die Entwicklung der Telekommunikation, verändert sich das Gesicht der städtischen Gesellschaft.

Durch das Aufkommen von Massenmedien, wie Radio, Fernsehen und vor allem durch globale Computernetze entstehen mediale Gemeinschaften, die den urbanen Raum überlagern. Als Medien der realen, sinnlichen und körpernahen Begegnung bleiben Städte jedoch wichtige Orte in unserer Gesellschaft. Dennoch - die zunehmende Bedeutung von Kommunikation und Information als wichtige ökonomische Ressourcen, steigert den Stellenwert der bereits existierenden Telekommunikationsnetze. Dies ist eine Chance für bidirektionale Medien mit einer großen Nutzergemeinschaft, da durch sie das so wichtige, städtische Spannungsverhältnis "privat - öffentlich" aufrecht erhalten werden kann. Gerade Datennetze wie das Internet mit stark anwachsenden Nutzerzahlen sind bereits urbane Subsysteme, die den gewohnten urbanen Raum unsichtbar überlagern. Städte beherbergen nicht nur Infrastruktur- und soziale Netze, sondern sie selbst sind bereits Netze, die sich aus überlagernden Netzen zusammensetzen.

Baron Haussmann, dessen städtebauliches Ideal in den 50er und 60er Jahren das sogenannte "allgemeine Kreislaufsystem" war, definierte Stadt über den fließenden Verkehr, der sich nach der Lage der Bahnhöfe richtete. Diese Definition war in seiner Zeit radikal, aber wie man heute sieht, zutreffend.

Wegesysteme wie Straßen oder Eisenbahntrassen stellen in historisch gewachsenen Städten die Verbindung vom Zentrum ins Umland her. Da diese Städte von innen nach außen wachsen, bedeutet das auch, das städtische Strukturen sich nach außen verlagern. Stadtränder sind immer der neueste Teil einer Stadt, da die Wachstumsmöglichkeiten innerhalb des Zentrums räumlich begrenzt sind. Straßen verbreitern sich, je mehr man das Zentrum verläßt. An den Rändern der Städte gewannen die Bahn und vor allem die Autos und nicht der Platz an Übergewicht.

Städte unterliegen zunehmend Zersplitterungsfaktoren. Jeder Stadtteil wird durch bestimmte Bevölkerungsschichten mit ihr eigenen Lebensstilen bewohnt. Räumliche Differenzierung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen führte zum Mangel an gesellschaftlicher Integration und damit zur Isolation.

Sehr jungen Städten wie Los Angeles, die rasterförmig konstruiert sind, fehlt sogar das Zentrum. Sie sind ohne Auto nicht zu bewältigen und wirken eher wie Modelle moderner, dezentraler Netzwerkarchitekturen, die kein Zentrum haben. Das jeweilige Zentrum ist für den Menschen der Ort, an dem seine sozialen Beziehungen stattfinden, aber immer seltener die Straße oder das Zentrum einer Stadt. Der zufällige, soziale Kontakt zu anderen Menschen, der in südländischen Kulturen noch immer auf den "Plaza" zum Umherschweifen und Verweilen verführt, hat mit der Realität funktionaler Wegesysteme der meisten Großstädte nur noch wenig gemeinsam.

Cyberspaceautor William Gibson beschreibt in seinen Science Fiction Romanen sehr treffend die sich endlos ausdehnenden "Sprawls" mit ihren Sub-Subkulturen (8). Der Verstädterungsprozeß ist ein weltweites Phänomen: die Agglomerationszonen weisen immer formale Ähnlichkeiten auf: Zunächst der Stadtkern, dann Siedlungen um den Kern herum - Kern und Siedlungen wachsen zusammen während außerhalb neue Siedlungen entstehen. Stadtlandschaften bilden sich immer aufgrund von Selbstorganisationsprozessen, die durch Infrastrukturmaßnahmen beeinflußt, aber nicht kontrolliert werden können.Der Bedarf an schnellen Verbindungen zwischen Orten führte zum Aufbau einer Verkehrsinfrastruktur. Knotenpunkte, also Start- und Zielpunkte, bildeten in diesem Netzwerk die schnell anwachsenden Städte. Johannes Boettner (9) verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff der "Fernmedien" und formuliert treffend deren Bedeutung für den Auftakt einer bis heute nicht endenden Urbanisierungswelle:

Er verweist auf die Bemühungen des römische Staats um den Ausbau und der Sicherung weitläufiger Verkehrswege und Nachrichtenverbindungen. Fernmedien - in diesem Kontext als Wegesysteme - brachten die unterworfenen Ländereien, die besiegten städtischen Konkurrenten samt ihrer Peripherien auf Dauer in die Reichweite des hauptstädtischen Zentrums. Endlose Heerstraßen, die das Reich durchzogen, sowie die Einrichtung der römischen Staatspost, die nach persischem Vorbild als Relaissystem organisiert war,.standen im Zeichen von Krieg und Handel. Das Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie blieb ein Verhältnis zwischen Orten, örtlichen Welten. "In dieser Hinsicht waren die absolutistischen Staatsgebilde, die seit dem ausgehenden Mittelalter in Europa entstanden waren, von ihren antiken Vorläufern nicht allzu verschieden. Sie waren ebenfalls auf hauptstädtische Zentren hin organisiert und bemühten sich in einem - verglichen mit der mittelalterlichen Untätigkeit auf diesem Gebiet - beträchtlichen Maße um den Ausbau der Fernmedien (Zentralisierung der Post- und Botendienste, Entwicklung des Postkutschenwesens, Land- und Wasserstraßenbau."

Die Einführung der Eisenbahn im 19. Jahrhundert führte zur Entregionalisierung von Zeit. Landstriche mit lokalen Zeiten mussten sich der Einheitlichkeit des Zeitplans der Eisenbahnpläne unterordnen. Mit dem Bau von Bahnhöfen bildeten sich neben den Plätzen neue Zentren. Neue Transportsysteme hatten direkten Einfluß auf die Informationsübertragung. Die Eisenbahn förderte die Verbreitung von Ideen, Meinungen, Themen, Nachrichten. Der Raum schien kleiner zu werden, die Metropolen wuchsen mehr zusammen. Der örtliche Horizont relativierte sich. Die Orientierung in ihnen ähnelt der Navigation durch die Benutzeroberflächen unserer Computer.

Die Straße in der Stadt, früher die Schnittstelle zwischen privatem und öffentlichen Raum, ist heute ausschließlich öffentlich zu einem funktionalen Durchgangsort geworden. Der Weg ist nur noch selten das Ziel. Die Forderung von Le Corbusier, 1925 -"Es gibt keine befahrbaren Flächen im Zentrum. Man muß sie schaffen. Man muß das Zentrum abreißen."(10) - war zu diesem Zeitpunkt radikal, aber auf die Gegenwart bezogen konsequent. Gegen die verlogene Nutzung der gebauten Zeichen wendet sich der "rationale Funktionalismus" zu Beginn der Moderne. In Le Corbusiers Idealprojekten erscheint die Stadt als ein aus verschiedenen und räumlich getrennten Einheiten zusammengesetztes System verbunden durch lineare Bezüge.

Das Ideal-Projekt von 1922, der "Plan Voisin" für Paris 1925 und andere idealisierende Studien verstehen die Raumstruktur der Stadt zunächst als topologisches System, das durch Orte und Zonen großer Bedeutung und vielfältige Wegeverbindungen charakterisiert ist. Raum - auch Straßen- und Platzraum - ist hier nicht mehr als sinnlich-körperlicher Umraum gemeint, als Erlebnisraum, der uns konkret umgibt. Die Ordnung der erwünschten räumlichen Strukturen wird vielmehr als lineares und punktuelles System vorgestellt, sie ist abstrakt rational wirksam. Straßen sind auch innerhalb der Stadt, sogar innerhalb der Gebäude, nur noch als Verkehrsverbindungen gedacht. Man bewegt sich von Ort zu Ort, aber der Weg bleibt auf der Strecke. Das aber bedeutet die Zerstörung des öffentlichen Raumes als Erlebnisraum. Nicht nur der Geschichtsbezug verschwindet, auch Körperraumqualität, konkretes Materialerlebnis, Raum als sichtbare, hörbare, fühlbare Hülle gelten nicht mehr als Werte von eigenem Rang. Le Corbusier unterscheidet Straße und Platz nur noch nach ihrer Verkehrsfunktion. Die erlebbaren Raumphänomene sind nicht etwas für sich, sie werden vielmehr als Zeichen-für etwas eingesetzt, so wie die Farbe "rot" im Straßenverkehr nicht mehr bedeutet als "HALT". Sein Reiz liegt in der Mitteilung, nicht in der sinnlichen Qualität. Was das bedeutet, ist jedem Autofahrer klar, der seinen Verkehrskanal nur noch als eine sukzessive Folge von Verkehrszeichen "liest". Benutzeroberflächen von Computerbetriebssystemen mit abgebildeten Büroutensilien fungieren ebenso als Stellvertreter für bestimmte Funktionen. Die Navigation in Zeichensystemen ist allgegenwertig, unabhängig davon, ob wir uns durch reale oder virtuelle Räume bewegen. Städte machen das Gestern und Heute allgegenwärtig, während die Zukunft bereits erkennbar ist.

Utopische Stadtentwürfe basieren auf Defizite der Vergangenheit und Gegenwart, sind immer zukunftsorientiert und visionär. Als Spiegelbild des Status Quo einer Gesellschaft offenbarten sie Probleme und Wünsche der jeweiligen Generation. Von den historischen Stadtutopien blieben jedoch meist nur Ideen, Skizzen und Texte übrig. Die Vorschläge wurden nicht akzeptiert oder konnten aus technischen oder ökonomischen Gründen nicht in die Tat umgesetzt werden. Bei der Betrachtung früherer Stadtentwürfe ist es jedoch immer wieder interessant zu beobachten, daß mit dem Thema Stadt auch Fragen zum Selbstverständnis einer Gesellschaft aufgeworfen wurden. So traten während der Renaissance und Aufklärung Stadtutopien immer häufiger in Erscheinung: Morus "Utopia, Campanellas "Civitas Solis" und Bacons "Nova Atlantis", Orte des besseren Lebens, "Utopien der stillen Glückseligkeit". (11). Schon mit den am Zeichenbrett entstandenen, geometrischen Idealstadtentwürfen der Renaissance wurden über die Bautechnik hinausgehende Wünsche verbunden. Eine Idealstadt ist "eine gestalthaft vorgestellte (oder gelegentlich gebaute), lange Zeit durch betonte Regelmäßigkeit gekennzeichnete Stadt , die in idealer Weise die materiellen und ideellen (einschließlich der ästhetischen) Anforderungen erfüllen soll, welche auf Grund der jeweiligen Produktivkräfte eine bestimmte Gesellschaft an die Stadt stellt."(12)

Idealstädte waren immer Demonstrationen einer neuen Vorstellung sozialen Zusammenlebens. Es waren Stadtentwürfe mit Modellcharakter, die in Ansätzen realisierte Utopie darstellen konnten. Dieser Modellcharakter konnte staatspolitischer, sozialutopischer, religiöser oder sonstiger Natur sein. In jedem Fall sollte die Stadt Abbild einer Vorstellung sein, die über die Wirklichkeit hinausging und diese verändern wollte. Die Umsetzung einer Sozialutopie im Bau einer Stadt ist bei dieser Fragestellung die extremste gedankliche Möglichkeit. Dabei ist daran zu erinnern, daß literarische Utopien in der Regel Vorstellungen spiegeln, die auf eine soziale Revolution "von unten" hinauslaufen, während Idealstädte nur von denen begründet werden können, die im Besitz von Macht und Geld sind; d.h. Idealstädte werden "von oben" verordnet, auch wenn sie das Glück einer Gesamtheit im Auge haben.(13) Das Verhältnis zwischen Stadtstruktur und Gesellschaftsform ist wechselseitig; Veränderungen auf der einen Seite evozieren entsprechende Reaktionen auf der anderen. Es wurde offenbar, daß sich das architektonische Denken aus den traditionellen Vorbelastungen lösen muß. Die Stadtutopien des 20. Jahrhunderts betrachteten Stadt nicht mehr als Objekt, sondern als ein ständig im Prozeß der Entwicklung begriffenes, komplexes sozio-technisches System. Die Elemente dieses Systems, die wiederum Systeme sein können, treten ständig miteinander in Wechselwirkung und beeinflussen sich gegenseitig. Leonardo Mosso(14) geht sogar soweit, den Planungsprozeß als strukturellen Prozeß zu definieren: "Entwurf der Zukunft als Struktur (im Sinn von "System von Transformationen und Möglichkeiten", den Piaget diesem Begriff gibt)(15) hat zur wesentlichen Voraussetzung, daß alle an der Planung beteiligt sind, und nicht nur, daß der Gegenstand der Planung strukturellen Charakter haben muß.

Das heißt mit anderen Worten, daß ein Projekt als Struktur auch eine Politik als Struktur erfordert."

Zu Beginn der 60er Jahre wurden immer häufiger Stadtmodelle im Sinne von dynamischen Prozessen vorgeschlagen. Die Künstler/Architektengruppe "Archigramm" etwa veröffentlichte Entwürfe ihrer "Plug-in City". Bei diesem metamorphen Gebilde war kein Endzustand geplant. Die Stadtstruktur sollte in jeder Richtung erweiterungsfähig sein.

Der Theoretiker Rudolf Doernach ging noch einen Schritt weiter und fügte biologistische Vorstellungen in seine Stadtentwürfe ein. Er nannte seine regenerativen, selbstwachsenden Stadtsysteme "Biotekturen". Um dem komplexen, dynamischen Prozeß "Leben" gerecht zu werden, müsse die Stadt ein funktionales Ebenbild des Menschen sein:

"Eine starre Umwelt erzeugt starre Menschen und eine starre Gesellschaft. Lebendige, anpassungsfähige Stadtsysteme lösen die gesellschaftliche Verkrampfung." (16)

Anfang der 90er Jahre entstanden, inspiriert durch die rapide Medialisierung des urbanen Raumes, neue Stadtansätze. Der Ansatz mit dem Namen "Städte des Wissens als Stätte der Begegnung" (17) von Helmut Volkmann geht in seinem Entwurf von einer noch zu entwickelnden Problemlösungsgesellschaft aus. Die reichen Industriegesellschaften müssten etwas völlig Neues wagen, nämlich ihre "Zukunft neu erfinden", denn, so glaubt er, die Probleme von heute sind Geschäftsmöglichkeiten für morgen. Die gesteigerte Komplexität dieser Geschäfte erfordere eine höhere Qualifikation, was für den Bürger als Arbeitnehmer lebenslanges Lernen bedeutet. Um Komplexität besser bewältigen zu können, muß Information besser beherrscht werden. Um diesem Ziel näher zu kommen schlägt er den Aufbau von Wissensstädten vor, die durch eine reale Ausstellungsarchitektur aber auch im elektronischen Raum erlebbar wird. "Der Besucher gewinnt Wissen, indem er die Wissensstadt erlebt."

Bei näherer Betrachtung der Stadtentwicklung in den letzten Jahrhunderten bleibt festzustellen, daß das, was wir sowohl als Stadt, aber auch als urbanen Raum bezeichnen, einem ständigen Wandel unterliegt. Die Stadt von heute ist durch die rapide Veränderung der Rahmenbedingungen nicht mehr mit der Stadt der Antike zu vergleichen. Die Sehnsüchte und Wünsche, die Menschen mit der Stadt verbinden, sind jedoch die gleichen geblieben.

"Die Frage, mit der wir es heute zu tun haben, lautet: wie gehen wir mit der fehlenden Übereinstimmung, der Inkongruenz von Begriff und Wirklichkeit bezüglich des Phänomens 'Stadt' um. Diese Inkongruenz äußert sich wiederum auf eine zumindest zweifache Weise: Sie zeigt sich

1.) in der reflexiven Uneinholbarkeit städtischer Entwicklungen- das heißt, in der Tatsache, daß Städte schneller wachsen, als wir sie denken (geschweige denn: planen) könnten; kurz: im Eigensinn der Städte. Sie äußert sich

2.) im Überschuß der Idee der Stadt über ihre Wirklichkeit.

Dieser Überschuß wiederum äußert sich etwa in der Wanderung städtischer Momente über die Grenzen der Stadt - wie der Transzendierung der Stadt als Wirtschaftsraum in die Peripherie oder der Transzendierung der Stadt als Kommunikationsraum in die weltumspannenden Netze der Computerwelten."(18)


Internet Cities

"Struktur = Inhalt"

Internet Cities sind zeichenhafte, immaterielle Städte. Sie versuchen den realen, urbanen Raum durch den elektronischen Raum zu verlängern. Ohne Stein und Stahl, als "soziale Architektur" sollen sie auf die materialisierte Welt rückwirken. Es sind Systeme, die physikalisch im virtuellen Raum des Internet angesiedelt sind, jedoch auf den realen Raum rückwirken. Grafische Navigationshilfen verfolgen anstelle der räumlichen Orientierung eine themenspezifische Anordnung von Inhalten, die miteinander in Beziehung gesetzt werden. Internet Cities sind mehr als nur Entwürfe und Modelle. Ihre Funktionsfähigkeit müssen sie jeden "Online-Tag" unter Beweis stellen. Durch die aktive Teilnahme vieler Menschen sollen sie sich zu sozialen Organismen entwickeln, die über den elektronischen Raum hinaus eine Öffentlichkeit schaffen können. Dabei kann, aber muß eine Internet City nicht Internet Anbieter ("service-provider") sein. Als "content-provider" bemühen sie sich um Zusammenführung von unterschiedlichen Inhalten.

Internet Cities verbinden die Idee der amerikanischen Community Nets mit der von virtuellen Gemeinschaften. Die Wahl der virtuellen Basis Internet liegt nahe, da es (bisher) das einzige globale Netz ist, das durch eine weltweite verteilte Gemeinschaft von Menschen gesteuert wird und dabei keinen zentralen Punkt hat. Die amerikanische Herkunft jedoch impliziert, allein durch die Verwendung der englischen Sprache, eine Dominanz amerikanischer Kultur im Netz. Internet Cities europäischer Herkunft versuchen kulturelle Differenzen zu erhalten, in dem sie ihr reales soziales Umfeld an einer Stelle im Netz bündeln und dies durch Verwendung der jeweiligen Landessprache realisieren. Die Strategie ist daher eher gegenläufig zu der Vision des "Global Village". Ein Dorf ist ausschließlich öffentlich, es gibt wenig Anonymität, die Privatsphäre ist stark eingeschränkt und es gibt wenig Kontakt nach außen. Ein Dorf neigt zur Vereinheitlichung, die Stadt dagegen ist diversiv und integrativ zugleich. Sie spiegelt politische, soziale und kulturelle Vielfalt wieder und bringt diese in räumliche Nähe. Mit der zunehmenden Bedeutung von globaler Kommunikation im Internet auch in ökonomischer Hinsicht fragen sich engagierte Internet-Nutzer, ob nicht die Chance besteht, das Internet als verlängerten Arm des städtischen Raums zu definieren und es damit auch zu politisieren. Im Vergleich zu anderen Medien bestehen im Internet noch Möglichkeiten für unabhängige Inititativen. Diese Projekte haben, im Gegensatz zu vielen der frühreren Stadtentwürfe zumindest eine Chance: Sozialutopische Ansätze im elektronischen Raum auf ihre Funktion zu überprüfen und soziale Vernetzung herbeizuführen.

Internet Cities sind Systeme, die strukurell selbstorganisierend sind. Sie basieren auf dem derzeitigen technischen Standard "html" also dem World Wide Web. Das WWW basiert technisch genauso wie die alten Dienste des Internet auf UNIX/TCP/IP. Auf dieser Basis implementieren die Entwickler der Internet Cities Strukturen, die den Einwohnern eine weitgehende Unabhängigkeit gegenüber den BetreiberInnen erlauben. Bei kontiniuierlicher Weiterentwicklung dieses Konzepts wird es in naher Zukunft beispielsweise bei der Internationalen Stadt für alle Einwohner möglich sein, eine "Stadt" in der "Stadt" zu bauen. Den vieldiskutierten "Artificial Life"-Systemen der letzten Jahre werden damit radikale "Real Life "-Konzepte gegenüber gestellt. Nicht die Simulation von lebendigen Eigenschaften steht im Vordergrund, sondern das Zusammenleben selbst.

Es ist bisher kaum erforscht, welche Bindungen langfristig zwischen Menschen im virtuellen Raum entstehen können. Die Anbindung an den realen Raum jedoch erhöht die Chancen für eine Identifikation zu diesen Systemen und gleichzeitig zu ihren geographischen Ursprungsorten. Dabei bestimmen Menschen selbst, welche Inhalte sie in einer Internet City verfügbar machen. Die Planer und Erbauer einer Internet City entwickeln im wesentlichen eine "intelligente" Hülle, die durch ihre "Einwohner" bevölkert und gestaltet wird. Alle Einwohner sind potentielle Informationsanbieter. Sie können sich im Netz selbst darstellen oder Projekte mit anderen realisieren.

Die Attrakivität einer Internet City ist daher im wesentlichen von dem Akivitätsdrang ihrer Einwohner und nicht nur von der "Informationsakquise" der Betreiber abhängig. Von den Stadtverwaltungen akquirierte Stadtinformation ist selbstverständlich, aber nicht der entscheidende Faktor für eine Identifikation der Einwohner einer Internet City.

Die Implementierung kommunikationsfördernder Eigenschaften wird über eine längerfristige Bestehenschance dieser Systeme entscheidend sein. Der Ausgangspunkt ist dabei die Trennung von öffentlichen und privaten Bereichen im elektronischen Raum.

Soziale Beziehungen bilden die Basis für Informationsressourcen. Sie können jedoch nicht erzwungen werden, sondern bilden sich mehr oder weniger langsam durch kontinuierliche Diskurse heraus. Der soziale Kontext kann also nur durch Kommunikation entstehen. Die technische Basis eines Mediums muß (bidirektionale) Kommunikation ermöglichen. Das World Wide Web mit seinen, auf den ersten Blick attraktiven, da multimedialen Möglichkeiten, bildet derzeit strukturell nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten. Ein Hauptproblem ist der Mangel an zeitgleichen Kommunikationsmöglichkeiten. Information kann wesentlich attraktiver als in textbasierten Systemen aufbereitet werden, jedoch der Schritt selbst zum Informationsanbieter zu werden, ist relativ groß. Echtzeitkommunikation , wenn auch nur auf Textbasis, unterstützt intuitives und überraschendes Kommunikatonsverhalten und ist der intensiven face-to-face-Kommunikation sehr nahe.

Im World Wide Web ist diese Art der Kommunikation bisher aus technischen Gründen stark eingeschränkt. Auch die Entwicklung von eigenen WWW-Seiten setzt, sofern überhaupt vom Internetanbieter erlaubt, wesentlich mehr (technisches) Wissen voraus, als zum Schreiben und Versenden eines Briefs an eine Newsgruppe. Das WWW verführt zu einem anderen Verhalten als im Internet. Offensichtlich ist die Faszination von Millionen weltweit verknüpften Hypertextdokumenten so groß, daß das ruhelose Umherklicken mit der Maus, vergleichbar mit dem "channelswitching" beim Fernsehen, von vielen Nutzern dem Verweilen und Lesen vorgezogen wird. Das World Wide Web birgt eine Informationslawine in sich, ist jedoch nicht mehr als ein Bestandteil des Internet und nicht, wie so viele glauben das Internet. Visuell ist es revolutionär, kommunikativ ein Rückschritt gegenüber den alten textbasierten Diensten. Sender- und Rezipientverhältnisse im WWW sind dem Paradigma der "alten" Massenmedien ähnlicher als dem des textbasierten Internets. Das Entwickeln von WWW-Seiten ist nur den Personen erlaubt, deren Internetanbieter dies explizit zulassen. Dagegen ist die Teilnahme an Gesprächen im IRC, die Teilnahme an Diskussionen der vielen Newsgroups selbstverständlich. Der derzeitige Entwicklungsstand des World Wide Web ist natürlich keinesfalls endgültig. Die Defizite sind von vielen Datenreisenden erkannt worden. Fieberhaft wird an verschiedenen Orten an der Weiterentwicklung gearbeitet. Sogenannte Webchats versuchen Echtzeitkommunikation ins Web zu integrieren. (19) Kombinationen aus WWW mit MUDs sind ebenfalls in Entwicklung. MUD-Welten werden dann visualisiert. VRML (20) ist der Schritt in die echte Dreidimensionalität, der Schritt zu Simulations- oder Phantasieumgebungen, die von allen Benutzern in jeder Hinsicht mitgestaltet werden können. Jedoch spätestens ab diesem Zeitpunkt verliert den Netz seinen streng gutenbergianischen Charakter, durch das es in der Vergangenheit geprägt wurde.


Internetcities und die "Außenwelt"

"Kevin Spectro hat weniger als er zwischen Außen- und Innenwelt unterschieden. Er sah die Großhirnrinde als eine Schnittstelle, eine durchlässige Membrane, die zwischen Draußen und Drinnen vermittelte und doch ein Teil von beidem war." (21)

Eine Internet City ist ein öffentlicher Raum und muß für alle offen sein. Die Zugänge zu ihr müssen kostenlos oder zumindest kostengünstig sein, wobei eine klare Linie zwischen kommerziellen Interessen und dem Recht auf "informationelle Grundversorgung" der Bürger gezogen werden muss. Das bedeutet in Zusammenarbeit mit den städtischen Kommunen öffentliche Informationen im Netz zusammenzuführen und zu garantieren, daß die Bürger für diese Informationen nichts bezahlen müssen.

Auch kommerzielle Netzdienste können durch sie in Anspruch genommen werden. Ob und wieviel Geld dafür bezahlt werden muß, bestimmen die jeweiligen Anbieter, die sich unter dem Dach einer Internet City versammeln. Kommerzielle Informationsanbieter müssen einen Obolus für ihre Präsenz entrichten. Jedoch wird eine Vermischung von Werbung, Infotainment und harter öffentlicher Information vermieden. Nutzer von Internet Cities entscheiden selber, ob sie auf den "virtuellen Marktplatz" gehen, um einzukaufen oder sich lieber an einer öffentlichen Diskussion beteiligen wollen. Sie dürfen nicht durch das System "quasi" gezwungen werden, sich an einen bestimmten Punkt hinbewegen zu müssen. In Anbetracht der leeren öffentlichen Kassen und im Hinblick einer langfristigen Planung scheint es, jedenfalls in Deutschland, keinen anderen Weg zu geben, als auch kommerzielle Services, die darüber hinaus auch nützlich sein können, in eine solche Struktur zu integrieren.

In einer Internet City exisistieren autonome Informationsanbieter, deren Inhalte nicht von den Betreibern redigiert werden. Die Verantwortung für ihre Informationen übernehmen diejenigen, die sie in die City hineingebracht haben. Die Informationsschwerpunkte in solchen Systemen werden zunächst durch Ideen, Visionen der Betreiber und ihres sozialen Umfelds bestimmt. Sie sind es auch, die die Regeln für soziale Selbstregulierungsmechanismen entwerfen. Die gemeinsame Zielrichtung ist daher durch das Leitbild Internet, zumindest dem was es bereits jetzt als Utopie "verkörpert" und einer großen Unzufriedenheit mit den "alten" Massenmedien geprägt:

"An die Stelle der persönlichen Begegnung auf Straßen und Plätzen tritt die Scheinkommunikation durch die Medien Presse, Funk und Fernsehen. Erlebnisräume schrumpfen auf Sesseldimensionen, verlagern sich ins Unkörperlich-Imaginäre, Illusionäre, wobei beide Sphären, die öffentliche wie die private, ihre Besonderheiten einbüßen. Auf ihrer ausgeprägten Gegensätzlichkeit aber beruht - wie Hans Paul Bahrdt feststellt - die Intensität des städtischen Lebens. Die Physiognomien der Straßen und Plätze bleiben als immer deutlicher entleerte Hülsen hinter der Entwicklung unserer hochindustrialisierten, durch und durch verwalteten Zivilisation zurück. (22) (...) Die Verantwortung für die Verwahrlosung der öffentlichen Räume liegt seitdem bei anonymen Institutionen, die bürgerfern wie nie zuvor - nur noch die funktionale Ordnung von Kommunikation und Austausch verwalten." (23)

Die Massenmedien ihrerseits haben das vielzitierte Verschwinden des öffentlichen Raums begünstigt und gefördert. Mediale und räumliche Nähe driften auseinander. Es fehlen einige Bausteine in der Kette zwischen medialen Vermittlern und dem realsozialen Umfeld. Internet Cities sind Metastrukturen im Netz, die eine Entsprechung zu der Diversivität einer realen Stadt suchen, darüber hinaus jedoch einen integrativen Charakter haben. Netzimmanente Eigenschaften lassen beides zugleich zu. Gemeinschaften mit unterschiedlichen Wertsphären und Lebensstilen liegen oft nur einen Mausklick voneinander entfernt und haben die zumindest die Chance sich zu "vernetzen".

Der Digitalen Stadt in Amsterdam ist es seit ihrer Gründung Anfang 1994 gelungen, den Status eines temporären Feldversuchs zu überwinden. "Das Ziel war anfänglich, ein Experiment durchzuführen, welches das Verhältnis zwischen den Bürgern und dem Bereich der Politik im elektronischen Zeitalter untersucht." (24) In diesen Zeitraum fielen auch die Amsterdamer Kommunalwahlen, in deren Vorfeld Perspektiven der Stadtentwicklung diskutiert wurden. Die Initiatoren - das Kulturzentrum "The Balie" und die Computerhacker-Gruppe "Hacktic" - schafften es mit finanziellen Starthilfen und Unterstützungen von der Amsterdamer Stadtverwaltung und einigen Computerfirmen eine große Öffentlichkeit für ihr Projekt zu interessieren. Mittlerweile hat die Digitale Stadt Amsterdam 20.000 Einwohnern mit bis zu 5000 Logins pro Tag. Von Beginn an waren Informationen der Stadtverwaltung und der politischen Parteien im Angebot der Digitalen Stadt vertreten28 und über E-Mail direkt zu erreichen. Auch in der zu Beginn des Jahres gegründeten Internationalen Stadt Berlin, sind in den letzten Monaten große Fortschritte, wenn auch bei weitaus geringeren Einwohnerzahlen, in der Beziehung zu öffentlichen Stellen erzielt worden. Mehrere Stellen des Berliner Senats und viele autonome Informationsanbieter sind mittlerweile in der Internationalen Stadt präsent.

Ein Teil dieser öffentlichen Informationen ist zwar für die Bürger meist über andere Medien oder Distributionswege erhältlich, aber die Chance, diese Informationen in einer Internet City auf den Punkt zu bringen, ist verlockend: Die Benutzer können sich schnell informieren und diese Informationen auf ihren heimischen Rechner herunterladen. Der große Vorteil dabei ist, daß sie in digitaler Form vorliegen und ggf. weiterverarbeitet und direkt im elektronischen Raum diskutiert werden können.

In diesem Zusammenhang taucht immer wieder, wie so häufig bei breiter Einführung neuer Medien, die Frage auf, ob solche Systeme nicht den demokratischen Diskurs beleben können. Diese Diskussion scheint zur Zeit verfrüht, wenn man bedenkt, daß die Verbreitung des Internets bei weitem nicht flächendeckend ist. Im derzeitigen Stadium geht es zunächst um die Etablierung von Meinungsforen. Eine Voraussetzung dafür ist die Teilnahme der etablierten Interessensvertreter und der gesamten Bevölkerung. "Wenn diese Vorgänge von der etablierten Politik und Verwaltung nicht ignoriert, sondern in bestehende Bemühungen zur Verbesserung politischer Partizipation und transparent gestalteten Interessensausgleich eingebunden werden, entsteht vielleicht kein flächendeckendes aber in seiner politischen Relevanz über den eigentlichen Nutzerkreis hinaus wirksames und nützliches politisches Element." (25) Erst wenn ein breiter Zugang zu den Internet Cities auch langfristig gesichert ist, kann es zur Begegnung von Politikern, Initiativen und Bürgern im elektronischen Raum kommen, die den städtischen Diskurs wiederbeleben oder zumindest sinnvoll ergänzen können. Darüber hinaus sollte ein intensiver Austausch zu den klassischen Medien angestrebt werden, damit Diskurse innerhalb einer Internet City auch für diejenigen transparent werden, die sich nicht an diesen Diskussionen beteiligen (können). Es ist bereits heute absehbar, daß dieses Problem durch das zur Medienkonvergenz neigende Internet in absehbarer Zeit gelöst werden kann.

Im Unterschied zum konventionellen Massenmedienparadigma einer "Sender-Empfänger-Hierarchie" steht das Selbstorganisationsprinzip der Internet Cities an höchster Stelle. Ihre Besiedlung ist daher auch nicht ganz einfach. Denn es kann und soll niemand zu Aktivitäten gezwungen werden. Erfahrungen sowohl bei der Digitalen Stadt als auch bei der Internationalen Stadt haben gezeigt, daß es ein Weile dauert, bis die ersten Einwohner die Möglichkeiten nutzen. Es gibt dabei offensichtlich bei vielen Menschen Hemmschwellen, denn etwas in einer Internet City unter eigenen Namen zu veröffentlichen bedeutet auch Verantwortung für die abgelegten Inhalte zu übernehmen.

Öffentliche Terminals mit Zugängen zu den Internet Cities sind wesentliche Bindeglieder zwischen der realen und virtuellen Stadt. Sie stehen in Cafés, Bibliotheken, Ausstellungen oder anderen öffentlichen Plätzen. Durch sie kann ein Bezug von face-to-face Kommunikation und Kommunikation in Netzen hergestellt werden. Sind Kommunikations- und Informationsangebote im Netz auf das regionale Umfeld der Kommunizierenden spezialisiert, dann können öffentliche Terminals das Interesse an Diskursen über das gemeinsame Lebensumfeld der Beteiligten fördern. Zudem erhalten Menschen ohne heimischen Computer die Möglichkeit, dieses Medium kennenzulernen, zu erlernen und zu nutzen. Eine Internet City wird dadurch im realen Raum sichbar, sie "wird fühlbar anwesend". (26) Öffentliche Terminals im Stadtraum müssen an belebten Orten stehen. Ein einziges Terminal auf der "grünen Wiese" ist nutzlos. Ihre Plazierung an zentralen Orten der Stadt, animiert zur Nutzung, gibt Menschen die Chance, gemeinsam den elektronischen Raum zu entdecken, sich gegenseitig weiterzuhelfen.

Die Präsenz aus dem elektronischen Raum hinein in den öffentlichen Raum der Städte hat für Internet Cities eine ähnliche Bedeutung, wie für die Nutzer, die zum "netsurfing" die heimische Privatsphäre verlassen, um sich in Internet Cafés zu treffen. In kommunikativer Hinsicht liegt ein Vergleich zu traditionellen, quasi-medialen Ereignissen, wie Theatern und Ausstellungen nahe. Für viele Menschen sind die Ereignisse selbst oft von weitaus geringerer Bedeutung, als das Zusammentreffen mit anderen Menschen.

Selbst das Fernsehen breitet sich in letzter Zeit stärker im realen Raum aus: Beispielhaft dafür sind die auf Projektionswänden live ausgestrahlten Fußballspiele. Obwohl die Sättigungsgrenze von Fernsehgeräten in privaten Haushalten nahezu erreicht ist, treffen sich tausende von Menschen auf Marktplätzen, um bei Spektakeln dieser Art dabeizusein. Kontextbildend ist dabei das Ereignis, über das die Besucher kommunizieren.

Öffentliche Internet-Terminals dagegen schaffen ggf. komplexere Kommunikationszusammenhänge, sofern neben der Nutzung von Diensten auf Basis des World Wide Webs auch synchrone Kommunikationsmöglichkeiten wie IRC oder MUDs zur Verfügung stehen. Es können Gesprächsebenen nicht nur zwischen den Nutzern der Terminals, sondern auch zwischen ihnen und virtuell Anwesenden entstehen. Kommunikationsinhalte werden hier nicht unbedingt durch ein von außen initiiertes Ereignis definiert, sondern wechseln je nach Interesse der Kommunizierenden sowohl im realen als auch im elektronischen Raum.

Die Möglichkeit sichtbar am Aufbau einer Internet City mitzuwirken, Verantwortung dafür zu übernehmen und damit einen Schritt in die Netzöffentlichkeit zu wagen, schafft Gemeinsamkeit und kann identitätsstiftende Folgen haben. Die lokale Ausgangsbasis der Internet Cities hat daher nicht die Funktion, globale Kommunikation zu verhindern, sondern eher einen Startpunkt zu definieren, der anregend für globale Kommunikation im Internet sein kann. Der lokale Bezug und die damit verbundene Chance virtuelle Gesprächspartner auch im richtigen Leben kennenzulernen, erhöht den Reiz in solchen Netzen aktiv zu werden. Durch das Berliner "Clubnetz" (28) beispielsweise, entwickelten zwei verheiratete Personen zunächst ein virtuelles Liebesverhältnis, daß später zum realen Kennenlernern der beiden führte. Auch das von der Internationalen Stadt realisierte WWW-Café "Café X-SS" im "Haus der Kulturen der Welt" in Berlin wurde sehr schnell zu einem beliebten Treffpunkt vieler Menschen.


Ein Netz von Internet Cities

Die Etablierung der Internet Cities wird letztendlich von der Vielfalt aber auch der Qualität von Information und dem Zuspruch der Menschen abhängig sein, die sich darin bewegen. Die netzweite und damit globale Präsenz der Internet Cities sorgt selbst im Internet für Aufsehen. Denn Internet Cities haben durch das Internet ein optimales Distributionsmedium, das für Öffentlichkeitsarbeit rege genutzt wird. Entsprechend groß ist deshalb auch das Interesse an der Weiterentwicklung und Vervielfältigung dieser Strukturen. In den Niederlanden hat sich daraus eine landesweite Initiative "Digital City Foundation" entwickelt. Sie bildet das Dach für mehrere Digitale Städte, informiert über Strategien zum Aufbau und legt fest, was eine Digitale Stadt ist und was nicht: Denn immer häufiger beginnen ehrgeizige Kommunalpolitiker aus marketingstrategischen Gründen Digitale Städte aus der Taufe zu heben, die in Bezug auf Interaktivität nicht den Ansprüchen einer Digitalen Stadt, sondern eher den klassischen Einweg-Stadtinformationssystemen gerecht werden.

Auch die Internationale Stadt ist dabei sich auszudehnen. Gruppen, Initiativen aus anderen Städten dürfen die Software der Internationalen Stadt (Berlin) kopieren. Ohne weitere Entwicklungsarbeit werden sie damit in die Lage versetzt, sich mit einer bereits entwickelten Software auf die politische Durchsetzung und dem Anfüllen mit Inhalten zu konzentrieren. Wird im kommerziellen Bereich ein Umsatz erwirtschaftet, dann ist ein Anteil an die Gemeinschaft der Internationalen Städte, der "International City Federation (ICF)" abzutreten. Freie Mittel werden wiederum zum Aufbau von weiteren Internationalen Städten, insbesondere in strukturschwachen Gebieten, weltweit eingesetzt. Zudem wird die Weiterentwicklung auch in technischer Hinsicht von mehreren Internationalen Städten getragen, die allen Städten zugute kommt.

Setzen sich die Visonen der BetreiberInnen der Internet Cities durch, so werden in naher Zukunft an verschiedenen Orten Internet Cities existieren, die ihren lokalen realweltlichen Bezug, also ihr soziokulturelles Umfeld berücksichtigen und damit lokalbezogene Information bereitstellen, sowie im Wechselverhältnis mit anderen Internet Cities einen globalen Austausch an Information und Kommunikation anstreben. So gibt es bereits den Plan, einen "Berliner Platz" in der Digitalen Stadt Amsterdam und ein "holländisches Viertel" in der Internationalen Stadt Berlin einzurichten, um explizite Schnittstellen zwischen den Einwohnern der beiden Städte zu schaffen. Dies ist vielleicht der Anfang einer virtuellen Megalopolis mit einer großen kulturellen Vielfalt.



Literatur

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Dahinden, Justus; Stadtstrukturen für morgen: Analysen Thesen Modelle, Stuttgart 1971

Friedrichs, Jürgen; Stadtanalyse. Soziale und räumliche Organisation der Gesellschaft; Hamburg, 1977

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ersch. in Mythos Information - Welcome to the Wired World; @rs elctronica 95; siehe Gerbel Karl und Weibel, Peter

Meisenheimer, Wolfgang; Zerstörung und Rekonstruktion des öffentlichen Raumes, Wolfgang; ersch. in Daidalos; Zeitschrift für Architektur und Kunst, März 1994

Mosso, Leonardo und Mosso-Castagno, Laura; Politik als Struktur, Struktur des Entwurfs, Wissenschaft als Sprachvermögen; ersch. in Konzept 2; siehe Carlini, Alessandro und Schneider, Bernd;

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Philosophische Praxis: Münker, Roesler, Sprenger (1995);stadt / heute;

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Volkmann, Helmut; Impressionen zum Leitbild "Städte des Wissens als Stätten der Begegnung" mit ersten Berichten aus XENIA, der Wissensstadt am Wege zur Informationsgesellschaft von morgen; ersch. in Kommunikationsnetze der Zukunft;

siehe von Grote, Claudia u.a.

Weibel, Peter; Intelligente Wesen in einem intelligenten Universum; in Intelligente Ambiente; siehe Gerbel, Karl und Weibel, Peter


Fußnotennachweise

(1) Friedrichs, J., Stadtanalyse, S. 7

(2) vgl. Koenig, Aaron; Ein Zuhause für die Grenzenlosen; Die Zeit, Nr.10 vom 3.3.95, S.102

(3) Weibel, Peter; Intelligente Wesen in einem intelligenten Universum; ersch. in Intelligente Ambiente, S.14

(4) Lovink, Geert;Über den Aufbau einer virtuellen Öffentlichkeit; Die Digitale Stadt Amsterdam, S.181

(5) ebenda

(6) Dahinden, Justus; Stadtstrukturen für morgen, S.12

(7) Canetti, E.; Masse und Macht; S.28

(8) vgl. Gibson, William, Neuromancer: Sprawls" sind Städte, die zu einer Stadtlandschaft zusammengewachsen sind

(9) Boettner, Johannes, Himmlisches Babylon: zur Kultur der verstädterten Gesellschaft, S. 20 -21

(10) Blomeyer, Tietze; Serielle Monotonie. Zeitästhetik und Wirtschaftswachstum. Ein vorstellbares Interview. In:Werk-archithese 65, 17/18, S.21f

(11) Stoppa-Sehlbach, Ingrid; Künstliche Stadt-Welten; ersch. in Zukünfte, 12/93, 3.Jahrgang, Heft 7, S.19

(12) Lexikon der Kunst, Bd. II, Berlin 1984, S. 361 (Artikel: Idealstadt)

(13) Kruft, Hanno-Walter, Die Idealstadt vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, S.9 - 19

(14) Mosso, Leonardo; Mosso-Castagno, Laura; Politik als Struktur, Struktur des Entwurfs, Wissenschaft als Sprachvermögen; S.106

(15) vgl. Piaget, Jean; Der Strukturalismus; Freiburg 1973

(16) Neuer Berliner Kunstverein, Stadt und Utopie, Modelle idealer Gemeinschaften, Berlin, 1982, S.110

(17) Volkmann, Helmut; Impressionen zum Leitbild "Städte des Wissens als Stätten der Begegnung" mit ersten Berichten aus XENIA, der Wissensstadt am Wege zur Informationsgesellschaft von Morgen; S. 27 f

(18) Philosophische Praxis Berlin, 1995

(19) eine Liste von Prototypen ist hier zu finden. Ein Chatprogramm in Verbindung mit einem IRC-Kanal gibt es in der Internationalen Stadt Berlin: Clubnetz

(20) VRML = "Virtual Reality Markup Language; siehe Worldview

(21) Pynchon, Thomas; "Die Enden der Parabel"; Hamburg 1991, S.229

(22) Meisenheimer, Wolfgang;Zerstörung und Rekonstruktion des öffentlichen Raumes, S. 11

(23) ebenda S.17

(24) Lovink, Geert;Über den Aufbau einer virtuellen Öffentlichkeit; Die Digitale Stadt Amsterdam; S.181

(25) Alton-Scheidl, Roland und Lukawetz, Gerhard, Politische Beteiligung per Telekommunikation, S. 31

(26) ebenda, S. 57

(27) Lovink, Geert; Über den Aufbau einer virtuellen Öffentlichkeit; Die Digitale Stadt Amsterdam, S.183

(28) von 1994 bis 1995 fünf von der Internationalen Stadt über Internet vernetzte, textbasierende Terminals in Berliner Musikclubs

(29) International City Federation