Interview mit dem Sänger der Gruppe "Herbst in Peking"
Wie bist du auf die Idee gekommen Musik zu machen?
Schwierige Frage. Kurz nachdenken.Also ich habe relativ früh angefangen
in der Musikbranche zu arbeiten. Das war so ungefähr Anfang der
80er Jahre, da fing ich an als Roadie für Musiker und Bands zu
arbeiten.
Musik fand ich einfach schon immer geil.
Welche Art von Musik?
Im weitesten Sinne Rockmusik. Das fing für mich an, als die Sex
Pistols 1976 die legendäre Platte "Nevermind the bollocks" gemacht
haben. Damals habe ich noch in einem verschlafenen Kaff in Mecklenburg
gelebt. Die haben mir klar gemacht, daß jeder Musik machen kann,
wenn er nur Bock drauf hat. Und daß man nicht jahrelang auf Musikschulen
abhängen muß und schweißtreibend irgendwelche Musiklehrer befriedigen
muß. Sondern, daß man einfach durch das Lebensgefühl, das in der
Rockmusik liegt, gegen die Eltern, gegen ihre Welt, gegen die
Schule und überhaupt die Gesell-schaft und die vorprogrammierte
Zukunft aufbegehrt. Das war auch für mich ein Weg klarzukommen,
Rockmusik sozu-sagen als Ausweg, jedenfalls war das bei mir so.
Deswegen habe ich nie aufgehört, Rockmusik geil zu finden.
So bin ich dann Anfang der 80er in Berlin gelandet, habe mich
an die lokale Szene gehängt, und hab' angefangen diverse Roadie
Jobs zu machen. Von da war der Weg zur eigenen Combo nicht mehr
weit. Ich habe mir gesagt, wenn ich schon in diesem langweiligen
Land bleibe, dann muß ich es einfach machen. 1987 habe ich dann
mit einigen Freunden die Band "Herbst in Peking" gegründet.
Wie habt Ihr Euch eigentlich kennengelernt und gefunden als Band?
Herbst in Peking? Habt ihr ein bißchen Zeit? Da muß ich nämlich
etwas ausholen. Nun, ich bin 1980 von der Schule geflogen, so
kurz vorm Abitur. Irgendwie sind die mit meiner Opposition gegen
alles nicht gut klar gekommen. Angefangen hat's mit langen Haaren
und "Westjeans". Jedenfalls entsprach so ziemlich nichts an mir
den vorgefertigten sozialistischen Durchschnittsnormen. Als sie
dann anfingen von "Bewährung in der Produktion" und Arbeitsplatz-bindung
zu sprechen, mich für ihre Verhältnisse sozusagen kriminalisiert
hatten, da gab es für mich in diesem Kaff nichts mehr zu löten
und ich bin weggegangen. Und dann bin ich ein Jahr später in Berlin
gelandet. Weil Berlin war damals im Osten die einzige Stadt, in
der man eine gute Zeit haben konnte. Wenigstens ein bißchen am
Puls der Welt.
Na ja, ich wollte neben all' dem Spaß, den ich in dieser Stadt
haben konnte, auch ein bißchen was für den Kopf tun. Mit diesem
fast vollendeten, und doch abgebrochenen Abitur wollte ich mich
nicht zufrieden geben, und denen den Triumph nicht gönnen. Du
gehst jetzt auf die Abendschule und machst doch den Abschluß.
Und da habe ich einen Typen getroffen, der hat mich schon schwer
beeindruckt: so langer Ledermantel, schwer lange Haare und total
cool... Und der wurde dann mein Freund, der Herr Totenhöfer. Er
war ein ziemlich begnadeter Pianist und hatte auch schon in Bands
gespielt. Mit dem fing ich dann an abzuhängen. Ja, und wir fingen
dann an Songs zu schreiben und so Texte und haben erste Aufnahmen
gemacht. Und irgendwie war es dann so weit, daß wir gesagt haben,
jetzt suchen wir uns mal noch einen Gitarristen und einen Schlagzeuger-und
dann geht's ab.
Herr Totenhöfer hatte damals einen Freund in Rostock, der immer
seine Bilder auf der Mole in Warnemünde verkauft und davon gelebt
hat. Er sollte der Gitarrist sein. und ich hatte einen Freund
in Neubrandenburg, der Schlagzeuger war und Benno heißt. Das ist
übrigens die Stadt, in der ich jahrelang ausprobiert hatte, wie
weit man gehen kann.
Benno sagte: "Ja, Mann laß uns eine Band machen. Ich habe hier
einen Raum bei der Städtischen Müllabfuhr, da können wir total
geil proben." Wer dann zur ersten verabredeten Probe nicht kam,
war der Gitarrist. Aber aufzuhalten war nichts mehr, Benno meinte
nämlich: "Na, dann nehmen wir eben 'nen anderen, ich kenn' hier
einen, ein Freund von mir." Das war Alex, den haben wir genommen.
Es war jetzt Frühjahr '87, und das lief alles ziemlich geil. Unser
erstes Konzert spielten wir im Sommer.
Wie seid Ihr auf den Bandnamen gekommen?
Der Bandname ist eigentlich ein Buch von einem unserer Lieblingsschriftsteller,
dem Franzosen Boris Vian. und dieses Buch spielt weder im Herbst
noch in Peking. Also der Titel ist so genial irreführend! Dieses
Spiel mit den Worten wollten und wollen wir seitdem verstanden
wissen als freien Umgang mit allen musikalischen und soundtechnischen
Über-raschungen, Tricks und Fälschungen, also der absoluten kreativen
Freiheit.
Die damaligen vermeintlichen Verwalter von Kultur machten uns
einige Schwierigkeiten mit diesem Namen. Verboten sollte er uns
werden mit der Begründung, das könnte zu diplomatischen Komplikationen
führen, das chinesische Volk könnte sich beleidigt fühlen. "Das
wollen wir doch erstmal sehen", sagte ich mir und sprach beim
Kulturattache der Cinesischen Botschaft, Herrn Wuh, vor. Seine
Antwort war: "Der Name der Band ist ein großes Kompliment für
mein Land. Ich wünsche ihnen viel Erfolg in ihrer musikalischen
Laufbahn." Und dann war alles easy.
Wer schreibt die Texte und worum geht es darin?
Die Texte schreibe zum überwiegenden Teil ich, manchmal verwenden
wir auch Material von Dichtern, die wir sehr schätzen.
Wir haben in der Anfangszeit von "Herbst in Peking", was ja die
Endzeit der DDR war, schon Wert auf politische Statements gelegt.
Heute geht es um die Innenansichten zivilisationsmüder, nicht
erwachsenwerdender, träumender, durchgeknallter und doch lebenshungriger
Menschen. Wir versuchen einfach das ausgehende Jahrtausend, den
Untergang des Abendlandes zu illustrieren. Es sind auf jeden Fall
Texte, die uns allen Mitgliedern der westlichen Zivilisation doch
die eine oder andere frohe Stunde bereiten könnten.
Wie seid Ihr auf die Idee gekommen eine Weihnachtssingle herauszubringen?
Weihnachten wird ja nun mal auf der ganzen Welt gefeiert. Aber
reden wir mal von Deutschland, von unserem Kulturkreis. Hier ist
es das Fest, um das sich schon ab September alles dreht, scheinbar.
Ist es nicht auch ein Fest der Einsamkeit, ein Fest der ansteigenden
Suizidraten und ein Fest der Heuchler? Also auch ein entweihtes
Fest?
Nun, da wir immer gern Stellung beziehen zu Formen des menschlichen
Miteinanders, haben wir uns dieses Mal das fröhliche Weihnachten
vorgenommen.
Als wir klein waren, gab es diese berühmte Gruppe "Slade", die
1973 das von uns gecoverte Stück "Merry Christmas" gemacht haben.
Schwer eingängige Melodie. Ja, und der Text ist natürlich selbst
geschöpft. Wenn ich mal was anbieten darf: Oh my dear, die Krippe
brennt, und wir tanzen nackt um den Plastebaum, und mir is' so
kalt.
Arbeitest Du schon an neuen Liedern?
Ja. In Arbeit ist eine neue Platte von HIP mit Namen "Feuer, Wasser
und Posaunen". Da sind wir gerade in der End-phase des Songschreibens.
Dann geht die Sucherei nach Partnern wieder los, am liebsten wäre
uns ein Erscheinungs-datum Anfang nächsten Jahres.
Wir bedanken uns für das Interview.
Ich habe Euch zu danken.
Das Interview wurde geführt von: Franziska Platz und Inga Kowalewski
(Schülerinnen der Klasse 8 Heinrich-Schliemann-Gymnasium
Berlin-Prenzlauer Berg) am 03.11.1996/ Berlin