Armageddon Rocket
oder
Was 70 Pfund Plutonium im Orbit zu suchen haben

Ein bißchen schade für die umfassende Science Fiction-Literatur wäre es dann doch, wenn sich die Zukunft als etwas kürzer herausstellen würde, als alle Autoren dies angenommen haben. Irgendwie traurig, wenn keine einzige der technologischen Cyberpunk-Spielereien auftauchen würde und die Eroberung des Weltalls mangels Heimatplaneten so nicht stattfände. Und dafür sorgen primär nicht Militärs oder irgendein Doktor No, sondern ausgerechnet die Helden unseres wissenschaftlichen Zeitalters: die NASA.

Dr. No sitzt bei der NASA

Oder anders herum: Wenn ein misanthropischer Dr. No die Menschheit so richtig beuteln möchte, wäre der strategisch günstigste Platz dafür nicht in der Mafia oder ähnlichen Organisationen, sondern in der NASA.

Am 6. Oktober 1997 (aktuell am Mitwoch, dem 15.10.1997, nach Problemen mit Computern und stratosphärischen Winden) wird ein Satellit gestartet, um ein paar Daten über den Saturn zu gewinnen. Mit an Bord sind 70 Pfund Plutoniumoxid 238, der giftigste der Menschheit bekannte Stoff überhaupt. Das Isotop hat eine extrem kurze Halbwertzeit. Mit der freiwerdenden Zerfallsenergie wird der Satellit beheizt, da Solarzellen weiter draußen im Sonnensystem nicht mehr viel Energie einsammeln können - so war jedenfalls beim Planungsbeginn vor einigen Jahren der Stand der Solarzellentechnik.

Der Satellit namens "Cassini" wird das schnellste Objekt sein, das je vom Menschen auf den Weg gebracht worden ist. Dazu werden zwei "Swing by"-Manöver ausgeführt: Aus einiger Entfernung wird der Satellit wieder in Richtung Erde beschleunigt, um die Anziehungskraft des Planeten auszunutzen. Bei erfolgreicher Kurskorrektur schießt Cassini mit 65.000 Kilometern pro Stunde in nur 500 km Entfernung an der Erde vorbei. Jedenfalls ist es so geplant. Gemacht hat so etwas noch keiner, auch nicht die NASA.

Alles wird gut, egal wie.

Cassini wird mit einer Titan IV-Rakete gestartet. Von bisher zwölf Starts gingen zwei schief, was eine Wahrscheinlichkeit von 1:6 ergibt. In ihren veröffentlichten Gutachten gibt die NASA - oh Wunder der modernen Wissenschaften - eine Fehlstartwahrscheinlichkeit von 1:10.000 an. Das erinnert an Tschernobyl, wo ein Unfall wie er dann geschah, als praktisch unmöglich angesehen wurde. Und an die Praktiken der Atomwirtschaft, wo als Größter Anzunehmender Unfall einfach der angenommen wird, der irgendwie noch beherrschbar erscheint: Wenn ein Leck im Primärkühlkreislauf von 30 cm Durchmesser alle Sicherheitsmaßnahmen überfordert, nehmen wir einfach an, daß es höchstens ein Leck von 10 cm geben kann...

Die NASA geht einfach davon aus, auf wunderbare Weise besser geworden zu sein. Die nächsten 19.994 Starts von Titan IV-Raketen werden, so definieren wir, schon irgendwie gut gehen... Aber es kommt noch besser.

Unbegrenztes Vertrauen in Computer.

Wenn der Satellit wieder auf die Erde zurast, müssen die nötigen Kurskorrekturen in einem äußerst engen Zeitrahmen vorgenommen werden. Cassini nähert sich der Erde bis auf 500 Kilometer, mit einer Geschwindigkeit von 65.000 km/h. Mit menschlichen Reaktionszeiten hat das längst nichts mehr zu tun, das ist Sache der Computer. An dieser Stelle erinnern wir uns kurz an den Golfkrieg, wo die mit viel Propaganda aufgestellten Patriot-Raketen im allgemeinen nicht trafen, weil Quarzzeitgeber im Wert eines halben Dollars in der Hitze nicht ganz so genau liefen. Wir erinnern uns an Programmierfehler und daran, daß es theoretisch wie praktisch unmöglich ist, die Laufsicherheit großer Programmpakete zu garantieren (aus genau diesem Grund wurde SDI aufgegeben). Denken wir lieber gar nicht erst, auch nicht an die Tausende Satellitentrümmer, die in nicht ganz 40 Jahren Raumfahrt in den Orbit gelangt sind und die Erde auf unbekannten Bahnen umkreisen. Kommt es bei der gegebenen Geschwindigkeit zu einem Wiedereintritt des Satelliten in die Erdatmosphäre, hält kein Hitzeschild. Selbst NASA-Gutachten sprechen in diesem Fall von 5 Milliarden (!) kontaminierten Menschen. Von diesen fünf Milliarden werden - laut einem zweiten Wunder aus der Welt der wissenschaftlichen Gutachten nur (?) zweitausend Menschen sterben. Dies ist äußerst fragwürdig. Zwar emittiert das Plutonium Alpha-Strahlung, die sich zur Not mit einem Blatt Papier abschirmen ließe. Aber hier geht es um feinste, kaum nachweisbare Partikel, die in die Lunge eindringen und mit ihrer hohen Energieabgabe das Gewebe an Ort und Stelle zerstören und Krebs hervorrufen.

Diktiertes Risiko.

Die NASA ist bisher Erklärungen schuldig geblieben, wie sie Papierblätter in fünf Milliarden Lungen implantieren will. Der Lungenkrebstod für die 5 Milliarden Kontaminierten ist nicht phantastischer als die Rechnung mit 2000 Toten. Und selbst wenn diese Rechnung stimmt, bleibt immer noch zu fragen, nach welchem Recht die NASA deren Tod einplant, wieviele Geschädigte es geben wird (wer jemals eine Lungekrebsstation von innen gesehen hat, wird sich die Frage stellen, ob nicht die besser dran sind, die schnell sterben). Auch wie die Entschädigung insbesondere in Ländern der dritten Welt organisiert werden soll und wie Betroffene ihre Schädigung nachweisen können bzw. über den Zusammenhang zwischen einem NASA-Satelliten und ihren Gebrechen überhaupt informiert werden. Man fragt sich, was dieses Risiko wert ist. Man fragt sich, wie es kommt, daß die Schädigung so vieler Menschen in Kauf genommen wird, obwohl es so einfach vermeidbar wäre, ohne die Mission abzubrechen! Man kommt darauf, daß es amerikanischen Regierungsbehörden noch nie schwergefallen ist, Gruppen der eigenen Bevölkerung kalt lächelnd ans Messer zu liefern. Um so leichter fällt es, wenn es um Bürger anderer Staaten geht, erst recht dann, wenn es im Grunde niemand mehr wagt, amerikanische Politik auch nur sanft zu hinterfragen. Weiterhin stellt sich die Frage, welche ökonomischen Interessengruppierungen so dringend Bilder vom Saturn wünschen, um 5 Milliarden kontaminierte Menschen zu riskieren, und die nicht einmal eine Verschiebung bis ins Jahr 2001 zulassen, wo es ein Startfenster gibt, das den erneuten Vorbeiflug an der Erde unnötig macht. Ob es technische Möglichkeiten gibt, das Plutonium zu ersetzen, zum Beispiel durch bessere Solartechnologie, wird nicht einmal geprüft.

Beispiel macht Schule.

Bereits vor dem Start könnte Cassini für acht Todesopfer gesorgt haben, da im verarbeitenden Labor von Los Alamos die Kontaminationsfälle im Verarbeitungszeitraum 1993-95 um 75 % angestiegen sind. Die acht Personen, in deren Lungen Plutonium gelangte, sind noch nicht tot, allerdings gibt es keine Möglichkeiten mehr, sie zu retten. Nun, vielleicht sollten wir das ganze nicht kritisieren. Vielleicht sollten wir der NASA dankbar sein für dieses Lehrstück zum Thema technische Globalisierung und Demokratie. Vielleicht sollten wir den Versuch eines genialen Eggheads würdigen, der allen aus veralteter Ethik entstehenden Bedenken zum Trotz die technischen Möglichkeiten zur immer wieder angemahnten Reduktion der Weltbevölkerung ausnutzt und das auch noch so geschickt macht, daß die technik- und wissenschaftsgläubige Politikerriege nicht einmal Verdacht schöpft. Es wird wohl niemanden wundern zu hören, daß die Bundesregierung mit dem Start des Cassini-Satelliten kein Problem hat (es gab eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag zu diesem Thema). Aber bis jetzt war auch keine politische Frontfigur dazu bereit, ihren Anteil an Plutoniumoxid zu inhalieren, um die Ungefährlichkeit dieses Stoffes nachzuweisen. Fans von Doktor No können sich bei der NASA melden und ihren Namen in eine Art HighTech­Flaschenpost eintragen.

Mehr Informationen

www.animatedsoftware.com/cassini/index.htm
newmedia.slc.edu/stop/cassini.html
www.afn.org/~fcpj/space/concerns.htm
www.lovearth.org
www.exosci.com/probes/cassini/
www.jpl.nasa.gov/cassini/

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