Michael Szameit
COPYWORLD
(Originalausgabe, 1997)

Es gibt Bücher, da fragt sich der Rezensent, kann ich diesem Werk mit meiner Besprechung überhaupt gerecht werden, spricht der Roman nicht vielmehr am besten für sich selbst, ist der Leser nicht mündig genug, literarische Qualität von trivialen Aufgüssen zu unterscheiden?

Es gibt nicht viele Bücher, die zu solchen Überlegungen verleiten, aber Copyworld zählt ohne Frage dazu. Als sich Michael Szameit vor einigen Jahren aus der Science Fiction verabschiedete und nicht einmal sein letztes "Opus" beendete, wurde das von vielen bedauert. Nun hat er sich eines Besseren besonnen und tritt mit einem fulminanten wie auch voluminösen SF/Fantasy-Roman wieder auf den Plan. Es ist der wohl philosophischste SF-Roman, den ich bisher gelesen habe, lange scheint es, der Autor spielt schwerelos mit den alten Philosophen und Denkern - Laodse, Nietzsche, Konfuzius, Schopenhauer. Ein fesselndes Spiel mit brillanten Gedanken, die sich nicht nur mühelos in die Handlung einpassen, sondern ihr erst den Sinn geben. Der Spannungsbogen bricht dabei nie ab.

Die parallelen Handlungsfäden Weltenstein (Science Fiction) und Seemark (pure Fantasy) bestehen anfangs wie zwei separate Romane nebeneinander. Das Prinzip, eine scheinbar heile Welt in kleinen, aber um so endgültigeren Schritten ad absurdum zu führen und zu zerbrechen, ist nicht neu. Auch Michael Szameit läßt den Leser lange in dem Glauben, mit der neuen Weltordnung DTEA (Demokratische Terranische Einheitsassoziation) eine perfekt funktionierende und stabile Gesellschaft zu sehen, einzig dem Ziel verpflichtet, das große Projekt Copyworld zu verwirklichen.

Copyworld! Der utopische Traum von der grenzenlosen, unsterblichen Existenz in den virtuellen Weiten eines erdumspannenden Computers. Die Fantasy-Episoden erweisen sich als nichts anderes als eine Testsequenz, eine künstliche Welt von vielen möglichen, die individuell modifiziert werden können. Hyazinth Blume, der naive Protagonist des Romans, ist fasziniert von der Genialität des Plans, den Möglichkeiten den Systems. Die Spielregeln bestimmen aber andere und der Preis bleibt bis zum überraschenden Showdown im Nebel.

Wer schon andere Romane Michael Szameits gelesen hat - hier sollen als Beispiele nur Alarm im Tunnel Transterra (1982), Im Glanz der Sonne Zaurak (1983) und besonders Drachenkreuzer Ikaros (1987) genannt sein -, weiß, daß er Spaß am literarischen Experiment hat. Ein Szameit'scher SF-Roman ist immer auch eine Analyse der gegenwärtigen Verhältnisse, die Kunst, zwischen den Zeilen zu schreiben, beherrschte er mit Perfektion. In Copyworld ist mehr als nur ein Experiment angelegt, die Brüche in der Handlung sind taktisch kalkuliert, Fantasy verschmilzt mit Science Fiction, philosophische Exkurse haben nur solange Bestand, wie die Fiktion der heilen Welt hält. Dann wird der Schleier fast brutal weggerissen und die Handlung actionbetonter und zielgerichteter, ohne dabei zu verflachen.

Michael Szameit wird es nicht leicht haben nach diesem Buch. Denn alles, was er bisher geschrieben hat und auch alles, was er künftig schreiben wird, muß sich an Copyworld messen lassen. Das macht gespannt auf sein weiteres Schaffen.

Eigenverlag, 423 Seiten, DM 45.00
Vertrieb über ALIEN CONTACT
Fred Siebert