Rosie Scott
RAUBSTADT

Psychisch schwer zerrüttet, kehrt Faith im Alter von 38 Jahren in ihre Heimatstadt zurück. Hinter ihr liegen eine schwere Drogensucht, ein Selbstentzug und mehrere Jahre Arbeit als Gärtnerin und Sozialarbeiterin, in denen sie ihren AIDS-kranken Mann beim Sterben betreute. Ihr Traum ist es jetzt, den Buchladen der verstorbenen Eltern zu übernehmen.

Abgeholt wird Faith von Violet, ihrer Schwester, die all die Jahre daheim geblieben war, um die Eltern nicht allein zu lassen. Violet erklärt ihr Ansinnen zunächst für verrückt. Und das ist es auch. Denn die Stadt ist nicht mehr dieselbe, in der die zwei Schwestern ihre Kindheit verbracht haben.

Wenige gut gepflegte Vorstädte, in die sich die wohlhabenden Bürger zurückgezogen haben, bilden einen extremen Gegensatz zu der dem Verfall preisgegebenen Innenstadt. Ganze Straßenzüge bestehen nur noch aus Ruinen. Die öffentlichen Dienste haben längst ihre Funktion eingebüßt. Müllgebirge und Heerscharen von Ratten beherrschen den Stadtbild. Gangs von Straßenkindern haben die Ghettobezirke untereinander aufgeteilt. Unter der Bevölkerung grassieren Hunger und Krankheiten; an den Straßenrändern verfaulen Drogenopfer bei lebendigem Leibe. Wer soll da Bücher kaufen?!

Faith setzt sich durch, richtet den verfallenen Laden wieder her und durchstreift die Ruinen auf der Suche nach Gedrucktem. Die zunächst widerstrebende Schwester und deren Freunde helfen ihr. Und es gibt Leute, die in den Laden kommen und Bücher haben wollen.

Erst nach und nach bekommt Faith mit, was denn eigentlich in all den Jahren aus ihrer Schwester geworden ist, wie sie ihr Leben in der aberwitzig gewordenen Umwelt eingerichtet hat. Violet arbeitet in einer Lebensmittelkooperative, organisiert kostenlose Essenausgaben für die Allerärmsten, betreut Menschen, die die unterste Stufe des Elends in dieser Alptraumgegend bilden: Drogenwracks und Obdachlose. Und neben dem sozialen Engagement arbeitet sie im Widerstand, organisiert Proteste gegen ein System, dem längst die letzten Züge an Menschlichkeit abhanden gekommen sind. Die Regierung hat sie auf die Liste der Staatsfeinde gesetzt ...

Rosie Scott ist es in diesem Buch gelungen, ihre düstere Gesellschaftsvision sowohl mit einer packenden Handlung als auch mit einer hinreißenden Charakterdarstellung der ICH-Erzählerin zu verbinden. Erzählt wird, wie Menschen es selbst in einer unmenschlich gewordenen Umwelt vermögen, Würde und Menschlichkeit zu bewahren. An sprachlicher Schönheit kaum zu überbieten sind dabei zum Beispiel die Beschreibung von Faiths Empfindungen angesichts der geplünderten und verwüsteten Stadtbibliothek oder die Schilderung der sich anbahnenden Liebesbeziehung zwischen Faith und Redfern, dem Anführer einer Straßengang.

Das Buch endet tragisch, gibt jedoch zu Resignation keinerlei Anlaß. Die Selbstorganisierung der Ghettobewohner/innen wird sich weder durch staatsoffizielle Verleumdungen noch durch Todesschüsse aus dem Hinterhalt aufhalten lassen.

Leser dieses Buches sollten sich nicht dadurch verwirren lassen, daß Rosie Scott die Fabel des Romanes in ihrer neuseeländischen Heimat angesiedelt hat. Sie könnte überall dort handeln, wo urbane Verelendung als Folge von Raubbau und Modernisierungswahn Triumphe feiert. Die Raubstadt ist in naher Zukunft angesiedelt. In einer sehr nahen ...

Argument-Verlag, 214 Seiten, DM 36.00 Gerd Bedszent