Jens Schumacher
DER HÜGEL VON YHTH
Groteske Spuknovellen
(Originalausgabe, 1996)

Jens Schumacher, ein junger Autor, der kürzlich durch seinen Erzählungsband Kanon der Melancholie (gemeinsam mit Jens Lossau) auffiel, stellte Ende letzten Jahres sechs neue Texte im Kleinverlag Goblin Press von Jörg Kleudgen vor. Da ich sein früheres Buch kannte, war ich sehr gespannt auf die neuen Texte - und wurde nicht enttäuscht. Es fällt nicht schwer zu erraten, wer die literarischen Vorbilder von Jens Schumacher sind, bereits die seltsame Wortschöpfung im Titel des Buches läßt darauf schließen, daß er Lovecraft sehr verehrt, aber es finden sich auch Einflüsse anderer klassischer Autoren in seinen Geschichten.

Nach einer kurzen Eröffnung unter dem Titel Die infernalischen Drei, die leider zu sehr vor sprachlichem Bombast strotzt, folgt schon der erste Höhepunkt des Buches. Wo kein Adler wagt zu landen ist eine klassische Reiseerzählung und erinnert in der Stimmung an Abenteuergeschichten von Rider Haggard, jedoch spielt die Handlung nicht in Afrika, sondern auf einem geheimnisvollen Bergplateau in den petroskanischen Bergen in Jugoslawien. Ein tschechischer Wissenschaftler trifft auf einen Deutschen, und gemeinsam versuchen sie, das Geheimnis der seltsamen Monolithe auf dem Plateau zu ergründen. Doch es geschieht Schreckliches...

Verheerendes Element ist vermutlich die literarischste Geschichte des Bandes. Protagonist ist ein eifersüchtiger Handwerker, der eine junge Frau eines höheren gesellschaftlichen Standes liebt. Doch sie heiratet seinen Bruder, den er ohnehin nicht ausstehen kann. Nach all der erlittenen Seelenqual nimmt der Mann Rache, auf grausame Weise. Dieser Text ist deswegen herausragend, weil Jens Schumacher hier nicht mit unerklärlichen Phänomenen oder überirdischen Gottheiten und Monstren hantiert, sondern die Qualen einer menschlichen Seele analysiert. Aus diesem Grunde kann man Verheerendes Element als literarischen Fortschritt in Jens Schumachers Schaffen ansehen.

Stille Wasser ist weniger gelungen als die anderen Texte. Der oft wortgewaltige Stil des Autors und seine zuweilen altertümliche Sprache wirkt hier anachronistisch, denn die Geschichte spielt im Jahre 1977. Wissenschaftler in einer Bathysphäre, also einer Tauchglocke, die an einem Stahlseil von einem Schiff in die Tiefen des Ozeans hinabgelassen wird, wollen das Leben in der Tiefsee erforschen, wecken dabei jedoch etwas Altes, Monströses, das ihnen zum Verhängnis wird.

Die Titelgeschichte des Buches, Der Hügel von Yhth, nimmt direkten Bezug zum Schaffen von H.P. Lovecraft, und Jens Schumacher gelingt es, genau Stimmung und Ausdruck des Altmeisters zu treffen. Der Protagonist stößt auf Informationen über einen alten Kult, der das monströse Wesen Yhth anbetet. Und schließlich, als er herausfindet, wo die Ursachen des Kultes liegen, regt sich das uralte Wesen und sucht die Erde heim ... Der Protagonist dieser Geschichte hat ein erstaunliches Wissen um alte Geheimbücher, die Informationen um Kulte und Monstrositäten enthalten. Der Autor reiht Daten und Fakten über diese Bücher so geschickt aneinander, daß der Leser vermuten könnte, daß diese tatsächlich irgendwo existieren. Nicht zuletzt dadurch übertragen sich die unheimliche Atmosphäre der Geschichte und das Grauen, das der Protagonist empfindet, auf den Leser.

Die letzte Geschichte mit dem Titel Herr Golloch spielt in der heutigen Zeit. Der scheinbar imaginäre Herr Golloch erscheint dem Freund des Protagonisten und teilt ihm mit, daß er bald sterben wird. Noch sechsmal wird er ihm erscheinen, beim siebten Mal wird er sterben. Und tatsächlich ist nicht lange danach die Beerdigung. Schließlich erscheint Herr Golloch auch dem Helden der Geschichte und kündigt ihm den Tod an. Der Autor beschreibt hervorragend die Ängste und Fluchtversuche des Helden. Doch Golloch ist überall.

Am Ende des Buches findet sich ein Briefwechsel zwischen Jens Schumacher und Jörg Kleudgen zur Situation der deutschen Phantastik und zur Zukunft des Buches.

Die Ausstattung des kleinen Bandes ist gediegen. Neben einer angenehm zu lesenden Typographie, deren einziger kleiner Fehler die Verwendung von Zollzeichen anstelle "richtiger" Anführungszeichen ist, finden sich wunderschöne Illustrationen im Stil des Titels. Schöpfer der stimmungsvollen Bilder ist das Allround-Talent Jörg Kleudgen, der gleichzeitig das Buch in seiner Edition herausgegeben hat und der, wie einige Fans vielleicht wissen, obendrein Musiker ist.

Der Hügel von Yhth ist ein hervorragendes Beispiel für neue deutsche Phantastik und zeigt, daß traditionelle Erzählweise und neue, frische Ideen einander nicht ausschließen. Ich bin schon sehr gespannt auf die nächsten Geschichten von Jens Schumacher. Im Herbst 1997 wird voraussichtlich ein neuer Band erscheinen, wieder in Zusammenarbeit mit Jens Lossau.

Goblin Press, 239 Seiten, DM 18.00 inkl. Porto
Anschrift: Goblin Press, Jörg Kleudgen,
In den Mittelweiden 16, 56070 Koblenz.
Hardy Kettlitz