Timothy McNeal
DIE FARBE DES SCHWEFELS
(Originalausgabe, 1997)

Dieses Buch, das auf den ersten Blick als Zeitreisegeschichte anmutet, entpuppt sich als quasi-esoterischer Roman bzw. "Novella". Vier Freunde treffen sich seit Jahrzehnten jede Woche, um in ihrer Stammkneipe Skat zu spielen. Als einer bei einem Flugzeugabsturz verunglückt, finden die anderen in seinem Nachlaß Aufzeichnungen, die sie auf eine interessante Fährte bringen. In der Literatur des späten 19. Jahrhunderts, besonders bei Wilde und Chambers, finden sich Hinweise auf ein "Gelbes Buch", das Geheimnisse enthält, die nun die drei lüften wollen. Sie finden heraus, daß es eine Möglichkeit gibt, durch ein spezielles Meditationstraining in seine eigene Vergangenheit zurückzukehren bzw. diese wieder vor sich zu sehen. Als das tatsächlich gelingt, zeichnen zwei der Hauptfiguren sogar kaum wahrnehmbare Schemen aus der Vergangenheit auf Video auf. Das Buch endet schließlich tragisch.

Es gibt viele Ansätze zu einer wirklich guten Story, doch leider hat sie der Autor im entscheidenden Moment nicht weitergedacht. Die Suche nach dem "Gelben Buch", das auch im Bildnis des Dorian Gray von Wilde Erwähnung findet, ist verblüffend einfach. Alle der vier Protagonisten verlieren schließlich im Verlauf der Handlung auf dramatische Weise ihr Leben, doch der Autor gestaltete dies literarisch unspektakulär. Liebesgeschichten als Nebenhandlung erfüllen im Buch keinen wirklich Zweck, höchstens um die Hauptfiguren von ihrer Forschung nach dem unerklärlichen Phänomen abzulenken. Auch ist unglaubwürdig, daß einige Ideen, die einer der Protagonisten vorbringt, unreflektiert von den anderen akzeptiert und als Wahrheit angesehen werden. So etwas wäre bei religiösen Fanatikern, Sektenanhängern oder halt Esoterikern verständlich, bei drei an und für sich mit beiden Beinen im Leben stehenden Menschen jedoch kaum. Für einen SF-Roman ist dieses Buch nicht phantastisch genug, für einen Mainstream-Roman jedoch sind die Probleme und Beziehungskisten der Protagonisten zu alltäglich.

Der erste Absatz, ein Bandwurm über neun Zeilen mit nicht weniger als 16 Kommas, läßt anstrengendes vermuten, doch der Stil beruhigt sich schnell. Erst im Schlußkapitel wird es wieder anstrengend. Aber nicht aus dem Grunde, den der Herausgeber in Vorwort vermutet, nämlich daß der scheinbar sinnlos zusammengefügte Wörterbandwurm über drei Seiten hinweg "einige Zeit hoher Konzentration beim Lesen abverlangt", sondern weil das "Aneinandergeschreibsel" (Zitat Vorwort) keinen erkennbaren Sinn erfüllt, den man nicht auch in klaren Worten hätte ausdrücken können. Und so hat das Buch, bei dem man irgendwie schon auf einen Knalleffekt oder zumindest eine Lösung wartet, ein sehr unbefriedigendes Ende.

Stellenweise wird es orthografisch anstrengend, denn es ist stilistisch nicht erklärbar, daß die meisten zusammengesetzten Substantive mit Bindestrichen getrennt werden. Aber das nur am Rande. Vermutlich ist einiges (vermutlich auch der seltsame Schluß) darauf zurückzuführen, daß der vielausgezeichnete Autor sonst weniger in der Prosa, sondern vielmehr in der Lyrik zu Hause ist.

Rainar NITZSCHE Verlag, Reihe Phantastik 14, 118 Seiten Martin Höllmann