André Piére de Mandiargues
SCHWELENDE GLUT

Die Phantastik in diesem kleinen Bändchen überfällt den Leser nicht gerade, mitunter muß man regelrecht nach phantastischen Elementen suchen. Doch wenn man sich dieser Mühe unterzieht, wird man zu verblüffenden und faszinierenden Einblicken in die phantastische Natur der Liebe, des Verlangens und des Eros gelangen. Der Autor macht es sich dabei nicht einfach, damit auch nicht dem Leser. Die kurzen Texte erschließen sich nicht leicht, die Geschichten sind kapriziös, voller wunderbarer Einfälle und sprachlich so ausgeführt, daß man sich alle zehn Finger danach lecken kann. Der Hauch des Unwirklichen durchweht die Stories dieses Franzosen. Die Texte stammen aus den 40er Jahren. Sein Stil und die Plots erinnern an den phantastischen Realismus Lateinamerikas, aber auch in ihrer feinen Melancholie an die Romantiker des 19. Jahrhunderts und die Neoromantiker und Surrealisten des romanischen Sprachraumes, wie man sie vielleicht aus dem Band Das Zimmer der Träume (Volk und Welt, 1984) kennt, in dem eine Geschichte von ihm enthalten ist.

Im Mittelpunkt der Geschichten stehen bizarre Liebesbeziehungen, die fatale Folgen haben können. Ein Mann findet einen hohlen Stein, dem splitternackte, verführerische weibliche Wesen aus der griechischen Antike entsteigen - nur wird er ihren Anblick nicht lange überleben. Die magische Anziehungskraft eines Diamanten führt zu dem ersten, überaus intensiven Liebeserlebnis eines jungen Mädchens - in diesem Edelstein, der dadurch seine "Reinheit" verliert. Ein anderes Mädchen gerät in die Hände eines Sarghändlers und damit in ein recht morbides Liebesabenteuer. Die Geschichten werden so erzählt, daß der geneigte Leser nicht immer weiß, ob es sich wirklich so zugetragen hat, oder ob alles nur ein bunter, gefährlich funkelnder Traum ist. Wer sich also in die Welten eines Borges hineinzulesen vermag und sich auf bizarre Phantasien einlassen möchte, ist bei diesen Geschichten gut aufgehoben.

Suhrkamp 2466, 150 Seiten Thomas Hofmann