Greg Egan
CYBER CITY
(Permutation City, 1995)

Für dieses Buch aus dem nahen Übermorgen ist der Australier Egan dabei, mehrere einschlägige Preise einzusammeln. Und das, obwohl einem der hunderste Aufguß von Cyberpunk drohen könnte, bei dem das schillernde Outfit von virtuellen Räumen und Menschen mit Steckleisten am Kopf selten Wildwest-Adaptionen zur gelungenen Story veredelt. Die großen Zeiten von Gibson und Sterling sind vorbei; seitdem das Internet wie Sauerbier angepriesen wird, verkommt die Idee ohnehin zum Treppenwitz. Egan versucht das Problem zu umgehen, indem er sowohl den Cyberspace propagiert als auch aus Automatentheorie und verwirrender Physik eine Geschichte über Menschen und Unsterblichkeit baut.

Mitte des nächsten Jahrhunderts ist die Welt ein bißchen anders, aber merkwürdigerweise noch lebenswert. Egans Trick, um Neues zu erzählen: Der menschliche Verstand kann gescannt und in eine künstliche Umgebung einprogrammiert werden. Doch die Kopien, mit denselben Erinnerungen und Gefühlen wie ihre Originale, verweigern oft ihr neues Leben, kapseln sich ab und sind prinzipiell von Abschaltung bedroht. Paul Durham möchte beweisen, daß er nicht verrückt ist, indem er die Kopien vom Computer unabhängig macht. Maria, eine arbeitslose Softwarespezialistin, will ihre Mutter vor dem Krebstod retten. Gescannte Personen programmieren sich um und um und um; ein toter Millionär erlebt wieder und immer wieder einen von ihm begangenen Mord.

Für den, der sich auch in wissenschaftlicher Hochsprache auskennt, ist das ein investigativer Roman. Man sitzt immer ganz vorn in der Lokomotive der Erkenntnis, reitet auf der Kante des Regenbogens der Technokratie. Egan gelingt es, auch ohne ständig widerstreitende Fieslinge eine Spannung aufzubauen, die sich aus den zu lösenden Problemen ergibt. Man grübelt mit (will ja keiner dümmer sein als ein australischer Schreiberling), auch wenn die Handlung nicht immer überzeugt. Und ganz nebenbei füttert Egan einen mit philosophischen bis apokalyptischen Folgerungen für Raum und Zeit, Evolution oder Ethik, die sich aus der absurden Situation ergeben, daß der Mensch eine, wie auch immer geartete, Software und trotzdem Mensch ist.

Bastei Lübbe, 429 Seiten, DM 12.90 Uwe Salzbrenner