Orson Scott Card
DER REISENDE
(Alvin Journeyman, 1995)

Wer die drei ersten Bände um Alvin Maker, den Schmied, damals Anfang der neunziger Jahre gelesen hat, wird sie wohl kaum vergessen haben. Cards Zyklus ist eine Ausnahme im Fantasy-Alltag: hervorragende Charaktere, spannende Themen und ein origineller Rahmen.

Der Hintergrund der Bücher ist ein alternatives Amerika im 18. Jahrhundert. Als im späten Mittelalter in Europa die Hexenverfolgungen immer mehr um sich griffen, wanderten schließlich fast alle mit ungewöhnlichen Fähigkeiten Begabten nach Amerika aus, wo sich dadurch übernatürliche Fähigkeiten sammelten. Alvin, der siebente Sohn eines siebenten Sohnes, hat die Gabe zu heilen und zu reparieren. Das bringt automatisch Feinde mit sich, wie sich die Leser in den ersten drei Bänden Der siebente Sohn, Der rote Prophet und Der goldene Pflug überzeugen konnte. Und man trifft auch wieder alte Bekannte wie Peggy Larner, den Geschichtentauscher, Ta-Kumsaw, Becca, die Spinnerin der Lebensfäden und viele andere. Doch im Mittelpunkt der Handlung steht Alvins mißratener Bruder Calvin, der auch über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügt, jedoch nicht über Alvins Weisheit. Er kommt nicht mit der Tatsache zurecht, nur immer als Alvins kleiner Bruder angesehen zu werden und wandert aus. Card spinnt die Saga weiter und bringt sogar Napoleon mit ins Spiel, der ins Intrigennetz gegen Alvin eingesponnen wird. Mehr sollte man an dieser Stelle nicht verraten. Wer jedoch in letzter Zeit neuere Romane von Card gelesen hat, wird damit rechnen, daß der Autor weitschweifiger als in seinen früheren Romanen geworden ist. Andererseits wird man durch (allerdings typisch amerikanische) philosophische Diskurse und interessante Dialoge entschädigt. Card-Fans sollten dieses Buch unbedingt lesen, alle anderen sollten sich zuvor besser die ersten Bände des Alvin Maker-Zyklus zu Gemüte führen.

Bastei-Lübbe 20305, 475 Seiten, DM 12.90 Hardy Kettlitz