Katharina Burdekin
NACHT DER BRAUNEN SCHATTEN

Was wäre, wenn... Wie wäre die Geschichte verlaufen... Seit einiger Zeit ein beliebtes Thema in der phantastischen und SF-Literatur.

Was wäre beispielsweise gewesen, wenn Hitler und seine Verbündeten im 2. Weltkrieg gesiegt hätten? Wie würde die Welt dann in 700 Jahren aussehen? Eine mögliche Anwort gibt die britische Autorin Katharina Burdekin in dem hier besprochenen Roman.

Deutschland und Japan haben die Welt untereinander aufgeteilt. Deutschland beherrscht Europa, Afrika und Teile Asiens bis hin zur Grenze nach Indien - der Rest der Welt gehört zum japanischen Kaiserreich. Beide Großreiche sind nicht stark genug, einander anzugreifen - haben jedoch genügend Kraft, die unterworfenen Völkerschaften niederzuhalten. Im deutschen Reich - Schauplatz der Handlung - wird die Macht von einer Herrenrasse deutscher "Nazis" ausgeübt, die wiederum von einer Adelskaste von "Rittern" beherrscht werden. Diskriminiert und rechtlos sind nicht-deutsche Völker.

Hitler ist zu einem Gott erhoben worden - seine Ideologie ist Staatsreligion. Die Geschichtsschreibung wurde im Sinne der Naziideologie verändert. Und um dies auch durchzusetzen, hatte die Naziführung sämtliche literarischen Zeugnisse der Vergangenheit verboten und systematisch vernichtet. Eine Minderheit, bei der die ideologische Zurichtung nicht gelang, führt unter der Bezeichnung "Christen" ein jämmerliches Dasein am untersten Ende der Herrschaftspyramide.

Die Ausübung von HERRschaft kann in diesem Alptraumregime wörtlich genommen werden - Frauen zählen nicht als Menschen und werden von jeder Form von Machtausübung ausgeschlossen. Familien sind abgeschafft. Jede Frau gilt als Freiwild für jeden Mann - wobei "Rassenvermischung" jedoch ausdrücklich verboten ist. Gemäß der offiziellen Staatsdoktrin gelten Frauen auch als unrein - und haben dies durch geschorene Häupter und einen braunen Sack als Bekleidung auch kenntlich zu machen. Ihre einzige Funktion in der Nazigesellschaft besteht in der Produktion von Nachwuchs.

Doch es gibt keine Herrschaftsideologie ohne Dissidenz, keine Diktatur ohne Widerstand. In der Romanhandlung sind es zwei junge Männer - ein deutscher "Nazi" und ein Engländer -, die sich anfreunden und im Meinungsaustausch auf Widersprüche in der offiziellen Ideologie aufmerksam werden. Sie treffen auf den Ritter von Heß, dessen Vorfahr einst als Abtrünniger von Deutschland ins unterworfene England verbannt worden war. Von Heß vertraut ihnen ein Geheimnis an: Sein Vorfahr hat das Verbot und die Vernichtung der Literatur als Zeitzeuge miterlebt und in der Verbannung sein Wissen aufgezeichnet, um es über die Geschichtslügen der Naziführung hinweg zu bewahren. Über Generationen hinweg war dies einzig noch vorhandene Buch weitergegeben worden...

Gegenüber der erschreckenden Vision eines jahrhundertelangen kollektiven Hitlerwahns nimmt sich die Romanhandlung etwas dürftig aus. Auch wird die Lektüre durch seitenlange Monologe des Ritters von Heß über die Realgeschichte und ihre Verzerrung durch den Nazi-Ideologen von Wied nicht gerade erleichtert. Wer in diesem Buch jedoch nur einen literarisch wenig gelungenen Neuaufguß des (umstrittenen) Bestsellers Fatherland von Robert Harris sieht, dem sei gleich das Datum der Erstausgabe dieses dystopischen Romans genannt. Katharina Burdekin schrieb dieses Buch im Jahre 1937 - als eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, ihre düstere Gesellschaftsvision könne Wirklichkeit werden. Erstveröffentlicht wurde der Roman vom dem britischen Verleger Victor Gollancz, der 12 Jahre später auch George Orwells 1984 herausbrachte.

Katharina Burdekins Nacht der braunen Schatten (original Swastika Night) steht somit in der Tradition von Gesellschaftsdystopien, die durch den späteren Geschichtsverlauf verhindert werden konnten.

UNRAST-Verlag, Münster, 1995, 29.80 DM Gerd Bedszent